Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)
dem Blatt, wir machen uns an ein mühsames Übersetzen. Die Fragen sind für diese Klasse zu schwer. Die andere Klasse hatte damals gar keine Probleme damit. Ich übersetze und übersetze. Nachdem die Schüler nun wissen, nach welchen Antworten sie suchen sollen, verteile ich drei kopierte Blätter aus dem Guinnessbuch . Leider ist die Schrift sehr klein – deshalb steigen Murat, Mert und Samantha schon mal vorsorglich aus: »Ich kann diese Schrift nicht leeesen!«
Leider ist der Text auf Englisch – deswegen verliere ich auch Tarkan, Kevin und Vanessa. Fuad macht grundsätzlich nicht mit, und Angie will eigentlich immer nur aufs Klo, den Lidstrich nachziehen. Die anderen rackern sich mühevoll ab. Manche sogar mit großem Interesse. Helfen kann ich ihnen nicht, denn ich renne durch den Raum und versuche, die Nichtteilnehmer in Schach zu halten. Mist, das hat man nun davon, wenn man die Binnendifferenzierung unterschätzt, indem man gar keine macht. Eigentlich hätte ich hier mit zwanzig unterschiedlichen Aufgaben anmarschieren müssen – für die verschiedenen Lerntypen ein jeweils eigenes Arbeitsblatt –, manche hätten die Aufgabe vielleicht lieber gemalt, andere getanzt oder gesungen … tja.
Aber ich bin erfahren genug, um wenigstens das Ende der Stunde in eine einigermaßen konzentrierte Arbeitsatmosphäre zurückzusteuern. Ich lasse mir von den fleißigen Schülern die Antworten diktieren, schreibe sie an die Tafel und zwinge die Verweigerer, alles von der Tafel abzuschreiben. Als ich anschreibe, dass ein Mann achtundsechzig Jahre lang mit einem Schluckauf gelebt hat, werden alle hellhörig. Das interessiert sie, fast so sehr wie der Mann, der über Jahrzehnte mit einer Patrone im Kopf lebte.
Ich versuche, ihnen die Schluckaufgeschichte, die ich im Guinnessbuch gefunden habe, schön plastisch darzustellen: Wie der Mann beim Schlachten eines Schweins plötzlich einen Schluckauf bekam, wie er wahrscheinlich alles probierte, um ihn wieder loszuwerden. Im Raum ist Totenstille. Die Schüler kleben an meinen Lippen, während ich ihnen vorspiele, wie der arme Mann mit seinem Schluckauf von Arzt zu Arzt wandert. Ich erzähle und erzähle, und sie hören mir zu. So was habe ich fast noch nie erlebt. Als ich fertig bin, stellen sie Fragen, ich versuche, Antworten zu finden. Es macht voll Spaß. Ich glaube, so muss Unterricht sein.
Halt die Fresse, sonst gehen wir nicht PC
Am nächsten Tag möchte ich zur Abwechslung eine gute Stunde in der 7. Klasse abliefern. Nicht dass ich mich so von einem Tag auf den anderen gut darauf vorbereitet hätte – nein, ich habe nur was richtig »Schönes« geplant: Computerraum!
Computerraumunterricht muss man zelebrieren. Computerraumunterricht möchte gut vorbereitet sein und darf – damit er seine Wirkung entfaltet – nur in kleinen Dosen verabreicht werden. Ich beginne meine homöopathische Stunde folgendermaßen: »So, ihr Lieben, heute habe ich was richtig Tolles mit euch vor. Zuerst will ich mit euch zwei popeleinfache Aufgaben im Workbook machen, dann den Test zurückgeben.« Der Test war auch voll popelig, weshalb sich da fast jeder über eine gute Note freuen kann. »Und dann, wenn ihr euch bis dahin gut benommen habt und alle gut mitgearbeitet haben, ja, dann gehen wir in den Computerraum!«
»Jaaa, Computerraum!«
»Mann, halt die Fresse, sei leise, sonst gehen wir nicht PC!«
Ich höre die Wörter Facebook und Onlinepoker . Aber den Zahn werde ich ihnen noch ziehen. Wir gehen nämlich in den Computerraum, um dort ein paar spitzenmäßige Aufgaben zur Steigerung der Adjektive zu bearbeiten. Aber man muss ja nicht gleich alles verraten.
Die Workbook-Arbeit läuft wie geschmiert. Vanessa ist als Erste fertig. Ich verbessere ihre Aufgabe. Dann muss sie die anderen verbessern. Daniel war schon vor dem Klingeln im Raum, und wir haben uns ein wenig unterhalten. Er erzählte begeistert, wie gut er mit Computern umgehen kann. Da er die Workbook-Aufgabe bereits am Vortag bearbeitet hat, weil er schon weit vor den anderen fertig war, schickte ich ihn zu den PCs und sagte ihm, er soll alle anstellen und auf die Übungsseite gehen.
Und dann kommt der Moment, in dem ich die Regeln für den Computerraum verkünde: »So, jeder benimmt sich dort. Wenn ich sehe, dass jemand auf eine andere Seite geht als die, auf der ihr arbeiten sollt, dann wird der Computer sofort ausgemacht, und ihr bekommt ein Arbeitsblatt.« Ich überhöre ein gewimmertes: »Aber, aber … Facebook,
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