Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)
bitte mit Frau Müller sprechen?«
Am anderen Ende der Leitung Schweigen. Peter war heute nicht in der Schule, und es wurde eine Mathearbeit geschrieben. Nachmittags will ich wissen, ob er krank ist oder geschwänzt hat. »Hallo?«
»Äh, ja?«
Frau Müller ist meines Wissens alleinerziehend, und Peter ist der Älteste.
»Peter, bist du das?«
»Äh, nein.«
»Wer ist denn da?«
»Rainer.« Rainer ist der kleine Bruder von Peter.
»Also, Rainer, wann kommt denn deine Mutter wieder?«, frage ich, obwohl ich weiß, dass Peter am Apparat ist, denn ich kenne ja seine Stimme.
Ich höre, wie das Telefon weitergereicht wird. Dann eine Kinderstimme: »Die kommt, äh, die kommt …« Pause, der Telefonhörer wird zugehalten, dann: »Die kommt erst heute Nacht wieder.«
»Aha, heute Nacht. Okay, dann versuche ich es später noch mal. Tschüs.« Damit lege ich auf. Na, den beiden geht jetzt die Düse. Nachher werde ich mich erst mal bei der Aquagymnastik abreagieren, dann rufe ich heute Abend jede Stunde an, bis ich Frau Müller erwische. Und falls das nicht klappt, schreibe ich einen Brief und werfe den morgen ein.
Nach dem Anruf bei Frau Müller schnappe ich mir eine neue Kollegin und versuche, sie zu beruhigen. Sie soll am Montag anfangen und hat Schiss. Sie ist eine sehr große und sehr junge Frau. Sie sieht sehr nett aus, und ich hätte sie gerne im Kollegium. Sie raucht sogar, so was hat ja heutzutage Seltenheitswert. Ich erzähle ihr, wie gerne ich unsere Schüler unterrichte und wie nett die Schüler sein können. Gleichzeitig versuche ich, sie zu warnen, nicht zu nett zu sein – zumindest nicht am Anfang. Ich weiß nicht, ob sie versteht, was ich meine. Aber bei uns gilt der Satz: » Don’t smile until Christmas. « In der 7. Klasse habe ich damit wirklich gute Erfahrungen gemacht. Ich war voll der Körnel bis zu den Weihnachtsferien und werde jetzt freundlicher. Andersrum ist echt scheiße: Nett anfangen, dann steigen die Schüler einem aufs Dach, und nach fünf Wochen verteilt man Tadel und ruft die Eltern an.
Ich habe mal älteren Schülern zugehört, die über eine neue Lehrerin sprachen: »Sie ist nett.«
»Ja, sie lächelt IMMER. Aber gib ihr fünf Wochen, dann zeigt sie ihr wahres Gesicht.«
Ein paar Tage später kommt noch ein neuer Kollege zu mir. Ich bin ja immer sofort zur Stelle, wenn es um Schlauquatschen und brauchbare Unterrichtstipps geht, die ich selber nicht umsetzen muss.
»Ich packe das nicht.« Er ist erst seit einer Woche bei uns, und er sieht nett aus. Wahrscheinlich zu nett. Das mit dem Nettsein ist so eine Sache. Ich bin super-duper-kingmäßig nett. Das würden auch alle Schüler bestätigen. Aber als neuer Lehrer in neuen Klassen bekommt das Nettsein eine ganz andere Bedeutung. Da hat es so etwas Verletzliches, so etwas Hilfloses mit Spurenelementen des Scheiterns.
»Ich packe das einfach nicht. Das ist echt zu heavy hier.« Er sieht fertig aus, abgekämpft, verzweifelt und müde.
»Nun warte doch mal ab. Du musst jetzt zeigen, dass du der Chef bist. Das wollen die jetzt in den Klassen von dir sehen. Wenn du nicht der Chef sein willst, dann übernehmen die.«
Er guckt mich verwundert an.
»Na, machen denn alle nicht mit, oder nur einige?«
»Die meisten stören, aber ein paar machen auch mit.«
»Dann kommt jetzt Teilen und Herrschen. Du musst die Mitmacher unterstützen und loben und ihnen jede Stunde gute Mitarbeitsnoten geben. Die Störer musst du aufschreiben und alles durchziehen: Klassenlehrer informieren, Eltern anrufen, Briefe schreiben, Tadel vergeben und so weiter. Einige Schüler werden schon aufhören zu stören, wenn du den Klassenlehrer benachrichtigst, und bei den anderen arbeitest du dann Schritt für Schritt alle Maßnahmen ab.«
Er guckt mich erschöpft an.
»Kennst du die Namen der Schüler?«
»Noch nicht alle.«
»Also: Namen lernen, Chef sein, teilen, herrschen, und dann wird das schon. Und jetzt erst mal einen schönen Feierabend.«
Mit hängenden Schultern zieht er ab. Der Arme. Ich hatte ihn schon gewarnt, dass das erste Jahr schlimm wird. Aber das hat er mir wahrscheinlich nicht geglaubt.
Die große junge Frau, die bei uns anfangen sollte, hat sich das leider doch anders überlegt. Dafür kam Peter zu mir und hat zugegeben, dass er die Mathestunde geschwänzt hat.
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