Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)
Sportabzeichen – ja: Seepferdchen.
Komisch, obwohl er doch Seepferdchen und einen Einfachen Hauptschulabschluss hat, wollte die Bundeswehr ihn trotzdem nicht nehmen. Dabei hätte er sich doch für zwölf Jahre verpflichtet.
Nach dem Film sagt Funda: »Die haben es alle nicht geschafft.«
Kurzes nachdenkliches Schweigen.
Dann entspinnt sich eine Diskussion über den Wert von: »Ich mach den Abschluss noch mal auf OSZ.« Die Wiederholer in meiner Klasse und die etwas fleißigeren Schüler sind davon überzeugt, dass man in diesen Schulen wahrscheinlich keinen besseren Abschluss machen wird, weil man sich dort genauso wenig anstrengen würde. Die Schüler, die aber genau das vorhaben, wollen so etwas natürlich nicht hören und glauben fest an einen Neuanfang. Bilal sagt, dass alle seine Freunde das Probehalbjahr auf dem OSZ bestanden hätten. Obwohl man in den ersten sechs Monaten rausfliegen kann, wenn man zu oft schwänzt.
Meine Schüler haben sich den Film aufmerksam angesehen. Sie haben sich gemerkt, wie viele Bewerbungen die Jugendlichen geschrieben haben, wie viele Absagen sie bekamen und wie sie am Ende zugaben, dass sie völlig unrealistische Ziele und Vorstellungen hatten. Mir taten diese drei Schüler aus dem Film, aber auch meine eigene Klasse leid. Niemals würde ich mit ihnen tauschen wollen. Floristin ist der Traumberuf von Michelle. Und dann bekommt sie dafür noch nicht mal einen Ausbildungsplatz.
Ich würde weder als Floristin noch als Industriemechanikerin arbeiten wollen und mich schon gar nicht für zwölf Jahre bei der Bundeswehr verpflichten. Okay, wahrscheinlich will auch kein Jugendlicher Lehrerin sein.
Ayla sagt mir, als ich sie ermahne, nicht so viel mit Marcella zu quatschen, sondern den Film anzusehen: »Aber Frau Freitag, warum soll ich mir das angucken? Ich werde schon noch früh genug mitkriegen, wie das ist.« Und damit hat sie wahrscheinlich sogar recht.
Die Störer sind irgendwie nichts für mich
»Und, wie läuft’s so?«, frage ich die neue Kollegin. Sie ist total klein und unheimlich jung. Meiner Meinung nach gehört die in die Oberstufe und nicht als Lehrerin ins Lehrerzimmer. Sie sieht sehr brav aus. Brav, harmlos, verletzlich, zart, unbedarft, weich, lieb, zu lieb, jung – sie sieht einfach zu jung aus. Wäre ich Schulleiter meiner Schule und sie würde sich bei mir vorstellen – dann würde ich sie mütterlich beiseitenehmen, so mit Arm um die Schulter legen, sie aus dem Raum zum Ausgang begleiten und leise zu ihr sagen: »Meine Liebe, das ist hier nichts für Sie. Jetzt gehen Sie mal schnell und suchen sich ein nettes Gymnasium.«
»Ach, geht«, sagt sie.
Ich will ihr entgegenkommen, denn ganz offensichtlich geht es nicht. »Na, du warst doch vorher an einem Gymnasium. Da war es doch bestimmt ein bisschen anders, oder?«
»Ha, anders … gar kein Vergleich. Hier muss man ja so oft, also dauernd, also immer muss man die zur Ruhe rufen. Dauernd, immer. So was kenne ich gar nicht. Und das NIVEAU!«
»Ja, was ist damit? Niedriger als am Gymnasium?«
»NIEDRIGER? Also ich schaffe ja gaaar nichts in einer Stunde. Wenn ich was vorbereite, dann …«
»Dann reicht das für eine Woche. Oder?«
»Ja. Das gibt es doch gar nicht.«
»Na, hat doch auch sein Gutes … musst du nicht so viel vorbereiten.«
»Ständig muss der Unterricht unterbrochen werden, weil jemand stört. Also, ein halbes Jahr mache ich das vielleicht, aber dann …«
Ihr Vertrag geht nur bis zum Sommer.
»Also, man bekommt ja nicht so viel zurück. Immer muss man sich um die Störer kümmern. Das ist irgendwie nichts für mich. Da muss man wissen, was man will«, sagt sie.
»Was meinst du damit?« Ich bin verwirrt. »Denkst du, das ist das, was WIR wollen?«
Dann klingelt es, und sie muss in den Unterricht. Was war das denn? Denkt sie, wir wollen immer mit diesen Störern im Unterricht zu tun haben, wir wollen nur mit Deppen arbeiten? Hallo? Geht’s noch? »Da muss man wissen, was man will.« Was ist das denn für eine Einstellung? Der Gymnasiallehrer will also keinen schlechten Unterricht, und wir wollen das, oder wie? Der Gymnasiallehrer will den Schülern störungsfrei Wissen vermitteln, und wir wollen das nicht?
Na, meine liebe, neue, unbedarfte Kollegin … noch ist kein Sommer, noch bist du bei uns, und da lernst du mal besser ganz schnell, das alles hier zu WOLLEN!
Hallo, hier spricht Frau Freitag
»Hallo, hier ist Frau Freitag, ich bin die Klassenlehrerin von Peter, könnte ich
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