Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)
Nackenbiss, und gut wär’s. Ich muss dieses blöde Ding kriegen. Ich werde es mir einfach schnell nehmen, denke ich. Aber schnell ist irgendwie relativ. Ich greife nach Gülistans Hand und erwarte, dass sie das Handy vor Schreck und vielleicht sogar vor Ehrfurcht oder so etwas wie Respekt loslässt. Aber nix da. Sie hält es noch fester. Na warte, kann ja wohl nicht sein, dass diese kleine, poplige Siebtklässlerin stärker ist als ich. Wir rangeln eine Ewigkeit. Ich möchte gar nicht wissen, wie peinlich das aussieht. Während ich noch versuche, ihre Finger einzeln aus der Handyumklammerung zu lösen, denke ich: Was machst du hier, Frau Freitag? Unwürdiger Auftritt, unwürdig und unerlaubt. Nicht die Schüler anfassen! Niemals! Und dieses Fingeraufbiegen geht schon weiter als normales Anfassen. Jetzt hat sie mich am Daumen gekratzt. Aua! Dieser verdammte Zeigefinger, ich habe ihn schon ein paar Millimeter weg, wenn ich den jetzt weiter biege, dann müsste sie doch loslassen. Ah, ich bin am Handy dran. Scheiße, was knirscht da so?
Nach einer unerträglichen Ewigkeit und hartem Gefecht sitze ich wieder an meinem Pult. In der Hosentasche ist das verdammte Handy von Gülistan. Die Klasse schweigt. Widmet sich wieder ihrer schriftlichen Aufgabe. Mein Daumen tut weh. Ich gucke zu Gülistan. Sie reibt sich ihren Zeigefinger. Plötzlich fängt sie lautlos an zu weinen. Ich könnte auch heulen.
Was war das für eine unnötige Scheiße?
Sie guckt immer wieder zu mir und zeigt dann auf ihre Finger. Vanessa gibt ihr ein Taschentuch. Ich sitze auf meinem Stuhl und spüre das blöde Telefon an meiner linken Arschbacke. Wahrscheinlich ist das Display gesplittert. Billiger Elektroschrott, den die Schüler sich kaufen. Aber ich kann es unmöglich aus meiner Tasche holen und nachsehen. Ich will nicht, dass die anderen Schüler an unseren peinlichen Kampf erinnert werden.
Oh Mann, wie sie heult. Sie geht bestimmt zur Schulleitung und sagt, dass ich ihr die Finger gebrochen habe. Dann zum Arzt, der schwere Prellungen feststellt, und dann gleich noch zur Polizei, wo sie mich wegen Körperverletzung anzeigt. Und das alles, weil … ja, warum eigentlich? Weil ich das Handyverbot an unserer Schule – es gilt den ganzen Tag, auch in den Pausen –, das ich ja nicht mal aufgestellt habe, durchsetzen wollte. Hätte ich gar nichts gemacht, wäre jetzt auch gar nichts passiert. Ich hätte genauso gut, wie schon oft, so tun können, als sähe ich das Handy gar nicht. Aber es ist nun mal passiert. Kurz vor dem Klingeln sage ich: »Gülistan, du bleibst bitte noch mal hier.«
Als alle weg sind, sitzt sie mir gegenüber. Ihre großen braunen Augen total verheult. Zum Glück schminkt sie sich noch nicht. Mit verschmierter Wimperntusche sähe das jetzt noch wüster aus.
»Gülistan, was war das vorhin?«
Sie zuckt mit den Schultern.
»Warum hast du mir das Handy nicht gegeben?«
»Ich … ich … ich wollte nicht«, stottert sie, schon wieder kommen Tränen.
»Ich habe dir an der Hand weh getan, stimmt’s? Mir tut der Daumen hier auch ganz schön doll weh.« Ich halte ihr meine Hand unter die Nase, sie betrachtet interessiert die rote Stelle unter meinem Nagel.
»Da haben wir uns beide ganz schön erschreckt, oder?«
Sie nickt, und ich sehe so etwas wie ein Lächeln.
»Wie machen wir das denn in Zukunft?«, frage ich sie.
»Ich nehme nicht mehr Handy im Unterricht«, flüstert sie.
»Und wenn du mir was geben sollst?«
»Dann mach ich das. Bestimmt.«
Ich greife in die Tasche und schiebe ihr das Handy rüber. »Hier.«
Sie lächelt. »Danke.«
Warum habe ich ihr das Handy zurückgegeben? Aus reinem Selbstschutz. Normalerweise hätte ich es ins Sekretariat gebracht, dann hätten die Eltern es abholen müssen und hätten, wo sie doch schon mal da sind, gleich zur Schulleitung tapern können, um sich über die brutale Pädagogik von Frau Freitag zu beschweren. Diese Szene möchte ich mir gar nicht vorstellen.
Bis nach der letzten Stunde denke ich, es ist alles gut. Ich sitze vor der Schule und rauche meine Feierabendzigarette mit einer Kollegin. Da steht plötzlich Gülistan mit drei Freundinnen vor mir. »Frau Freitag …«
»Du, ich habe jetzt Pause, ich komme gleich rein.«
Sie dampfen ab und warten im Treppenhaus. Ich unterhalte mich weiter mit der Kollegin. Die ist happy, denn das Wochenende beginnt. Außerdem hat sie weder ein Handy noch einen Finger kaputtgemacht. Ich bleibe überraschend cool. Jetzt ist es auch egal.
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