Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)
genervt.
»Wieso, ist doch ein ganz normales Wort.« Yunus grinst scheinheilig.
Ich widme mich wieder meinen Zetteln und sage, ohne ihn anzusehen: »Schreib mal was anderes.«
Am Ende der Stunde überreicht er mir mit einem fiesen Grinsen ein weiteres Blatt. Darauf steht: VAGINA.
Gut für Ehe
Die Zukunft. Meine Zukunft – ich werde wohl bis an mein Lebensende Lehrerin sein, es sei denn, man kommt mir auf die Schliche und schmeißt mich wegen mangelhafter Vorbereitung aus dem Dienst. Die Zukunft meiner Klasse fängt im September an. Dann ist Schluss mit lustig. Raus aus dem warmgepupten Klassenzimmer. Abnabelung ist dann angesagt. Keine Frau Freitag mehr, die sie an jeden Scheiß tausendmal erinnert und ihnen noch nachts auf Facebook sagt, welche Hausaufgabe sie auf gar keinen Fall vergessen dürfen. Reaktion: »Äh, welche Hausaufgabe?«
In ein paar Monaten werden sie ausgespuckt. Das soziale Netz wird sie wohl weich fallen lassen, aber auch dort gibt es immer mehr Löcher.
»Wenn man nicht zu Termin von Jobcenter geht, ziehen sie Geld ab«, erzählt mir Elif mit großem Entsetzen.
»Echt? Gibt’s ja gar nicht.«
»Ach, Frau Freitag, lassen Sie mal. Von Jobcenter haben Sie keine Ahnung.«
Wenig Ahnung habe ich auch von den ganzen Maßnahmen, an denen sie teilnehmen, und von den weiterführenden Schulen, auf die sie alle nach der 10. Klasse gehen könnten. Aber wenigstens weiß ich, dass man dort nur genommen wird, wenn man sich da auch anmeldet. Und das tun meine Schüler nicht. Einige jedenfalls nicht. Aber Frau Freitag lässt nicht locker. Von hinten schleicht sie sich an den heiteren Quasseltisch ran. Dort sitzen Elif, Miriam, Fatma und Hodda.
Wenn ich vorne stehe und laut frage, wie sie sich ihre Zukunft vorstellen, klappt das irgendwie nicht so gut. Das habe ich schon so oft probiert. Also muss jetzt mal eine andere Taktik her: »Aktives Zuhören auf Augenhöhe«. Ich ziehe mir einen Stuhl an den Mädchentisch und setze mich. Jetzt sehe ich aus wie eine von ihnen. Also nicht so sehr von den Klamotten und dem Make-up, aber von der Größe her. Zurzeit ist in der Moslem-Modeszene angesagt, unter dem Kopftuch einen Riesenalarm mit Dutt, Tüchern und so was zu machen, so dass sich das Tuch wie ein riesiger Ballon um und über den Kopf bauscht. Manchmal muss ich diese Türme einfach anfassen: »Ist das alles Gehirn, oder ist dein Schädel angeschwollen?«
Auf den Tischen türmen sich Handtaschen. Seit vier Jahren legen die Mädchen in jeder Stunde ihre blöden Täschchen auf die Arbeitsfläche, obwohl wir an jedem Tisch Haken haben. Auch beim Schreiben werden die Taschen nicht weggepackt. Der Anblick von Arbeitsblättern und Büchern zwischen lauter Handtaschen ist schwer zu ertragen. Die Tische sind ohnehin schon sehr schmal, und dann liegen die Blätter und Bücher auch noch schief. Schief liegen – eine Todsünde. Diese Handtaschen sind mir ein Dorn im Auge. Ganz schlimm sind die weißen. Die tun so, als seien sie aus Leder, aber alles Plastik, vallah . Schwarz ist auch nicht besser. Hautfarbe geht gar nicht. Aber direkt aus der ästhetischen Vorhölle kommen die Teile, die überall so halbrunde Kugelnieten haben. Diese Morgensternbeutel. In Schwarz – und die Krönung des Augenkrebses: in Weiß. Ich stelle mir immer vor, wie die Mädchen damit ausholen und ihren Kontrahentinnen die Plastikteile über den Kopf ziehen. Platzwunden gäbe es auf jeden Fall.
Könntet ihr mal die Taschen runternehmen? denke ich reflexhaft, sage aber nichts. Nicht gleich die Beziehungsebene zerstören. Dieses kleine zarte Pflänzchen – die gute Beziehung zu den Schülern –, dieses scheue, einsame Tier.
»Na, ihr Süßen, wie sieht es bei euch aus? Ihr habt es gut. Bald ist für euch die Schule vorbei. Ich muss für immer hier bleiben, aber ihr, ihr könnt dann raus ins Leben. Action, Abenteuer, the sky is the limit .«
Keine Reaktion. Elif guckt mich fast ängstlich an. Ich warte. Keine sagt was. Miriam guckt auf den Boden. Zu ihrer hässlichen Tasche.
»Mensch, Mädchens, nun guckt doch nicht so traurig. Was habt ihr denn so geplant? Was soll denn im September passieren?«
»Ich will Schule wiederholen«, sagt Fatma.
»Aber doch nicht hier, oder?«, frage ich etwas zu entsetzt. »Guck mal, Fatma, die werden dich hier bestimmt nicht nehmen. Was ist denn dein Plan B? Du solltest dich wirklich auch noch an einem Oberstufenzentrum bewerben.«
»Will ich aber nicht.«
»Hm, schlecht. Und ihr? Was wollt ihr denn
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