Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)
Arme voll mit Blumen und Flaschen. Manche müssen sich von den Schülern die Sträuße tragen lassen, weil es so viele sind. »Kannst du hier abstellen. Vielen Dank, Mohamed, lieb von dir, dass du mir geholfen hast. Und sag den anderen noch mal, wie sehr ich mich über die Blumen gefreut habe.«
Ich hasse sie alle. Die beliebten, beschenkten Kollegen. Die kriegen so viel. Viel zu viel. Und ich: nichts. Und dann kommen sie mir auch noch auf die Tour: »Frau Freitag, was ist denn mit dir? Du siehst ja so bedrückt aus.«
Zum Glück gibt es Fräulein Krise. Seit Tagen spreche ich mit ihr über nichts anderes mehr. »Fräulein Krise, es ist so schrecklich, die werden mir nichts schenken …«
»Frau Freitag, ich habe DIE Idee. Du kaufst dir einfach selbst einen Riesenstrauß Blumen und den ganzen Schnulli. Und wenn du morgens kommst, dann schmuggelst du das alles ins Lehrerzimmer.«
»Super! Das ist genial. Ich mach so Geschenkekisten – so Schuhkartons, die ich einwickle in Geschenkpapier. Ganz viele. In verschiedenen Größen.«
»Ja, genau. Und dann sagst du: ›Nein, das werde ich erst zu Hause auspacken.‹ Du kannst dir die Blumen ja so sogar aussuchen.«
Der Deutschlehrer hat eine andere Idee zur Lösung meines Problems: Er schlägt vor, ich solle meinen Schülern erzählen, dass ich von meiner letzten Klasse ganz tolle Abschiedsgeschenke bekommen habe.
Meine letzte Klasse – ein bis in den Darm verdrängtes Kapitel meines Lebens. Diese Klasse hatte ich nicht lange, eigentlich nur ein Jahr. Und deren Klassenlehrerin war ich irgendwie auch nie richtig. Jedenfalls haben sie mich nie so behandelt. Die haben sich benommen wie der letzte Dreck. Haben mir bis zur Zeugnisübergabe das Leben schwergemacht.
Als ich die Klasse bekam, gratulierte mir mein Freund: »Super. Du wirst Klassenlehrerin. Das ist doch eine Beförderung, oder?« Und genau so sah ich das damals. Stolz ging ich in MEINE Klasse. Da saßen sie – lauter riesige Halberwachsene, die absolut keinen Bock hatten. Keinen Bock auf die Schule und vor allem keinen Bock auf mich. Ich habe immer noch Serkan vor Augen, wie er sich mit hochrotem Kopf und einem Lachkrampf über den Boden rollt. Heute bin ich mir sicher, dass er einfach besoffen war oder irgendwelche Drogen genommen hatte. Damals dachte ich: Warum macht der das? Und vor allem: Was soll ICH jetzt machen? Wir haben doch Unterricht, und der hört gar nicht mehr auf, und der ist doch schon in der 10. Klasse.
Überall Respekt- und Distanzlosigkeit. Manchmal kamen die Mädchen in den Klassenraum und kniffen mir in die Backe: »Wie weich sie ist – voll süß.« Unterricht fand nur statt, wenn die Schüler es erlaubten. Ich war völlig machtlos. Und dann kam die Klassenfahrt. Was mich dazu verleitet hat, mit denen wegzufahren, ist mir heute ein absolutes Rätsel. Gegen diese Schüler ist meine jetzige Klasse der reinste Elitehaufen.
Jedenfalls endete die Fahrt damit, dass ich insgesamt fünf Schüler nach Hause schicken musste. Nicht alle auf einmal, schön pöh-a-pöh. Unerlaubter Alkoholgenuss, Schlägereien und demonstratives Missachten meiner Anweisungen – alles, was man sich denken kann, war dabei. Als ich den Schulleiter über den letzten Nachhausegeschickten unterrichtete, sagte er nur trocken: »Na, Frau Freitag, dann kommen Sie mal schnell zurück, sonst haben Sie am Ende gar keine Schüler mehr dort.«
Diese schlimme Klassenfahrt hat mein Ansehen in der Klasse nicht gerade verbessert. In den letzten Monaten wurde ich von einem Teil der Schüler regelrecht gemobbt. Mobbingopfer der eigenen Klasse – was für ein Scheißgefühl. Die tonangebenden Mädchen haben nur noch gemacht, was sie wollten. Während des Unterrichts haben sie ihre Eltern angerufen und sich über mich beschwert. Ich konnte nichts machen.
Die zwei Anführerinnen Israa und Melissa hatten sich überlegt, ihre eigene Abschlussfeier zu boykottieren: »Lass mal nicht dahin gehn!« Da der Rest der Klasse auf ihr Kommando hörte, kamen nur sehr wenige Schüler zur traditionellen Abschlussfeier. Die Anwesenden hatten einen Mordsspaß, und das müssen Israa und Melissa am Morgen danach mitbekommen haben. Man sah ihnen an, dass sie sich sehr darüber ärgerten, nicht bei der Party dabei gewesen zu sein.
Meine erste richtige Zeugnisübergabe wollte ich ganz feierlich gestalten. Ich hatte mir lange überlegt, was ich ihnen zum Abschied sagen, was für denkwürdige Worte ich ihnen mit auf den Weg geben wollte. Israa und
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