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Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder

Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder

Titel: Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Paqué
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„Amerika des 21. Jahrhunderts“. Während allerdings die Vereinigten Staaten zu früheren Zeiten vor allem wegen ihrer riesigen Landflächen für Zuwanderer anziehend waren, so ist es das westliche Zentrum Europas heute wegen seines modernen industriellen Kapitalbestands, seiner Innovationskraft und seiner freien Kapazitäten, die der demografische Wandel hinterlässt.
    Für die Auswanderungsländer ist ein solches Szenario durchaus bedrohlich. Dies gilt umso mehr, als in diesen Ländern – anders als im 19. Jahrhundert – die Bevölkerung nicht wächst. Ein schlichter Austausch von Abgewanderten durch Neuankömmlinge am Arbeitsmarkt ist nicht möglich, denn die demografischen Trends laufen im gesamten Europa sehr ähnlich, mit wenigen graduellen Unterschieden. Die Abwanderung bedeutet damit eine beschleunigte Überalterung und ein „Ausbluten“, das volkswirtschaftlich in seiner Wirkung nicht abgefedert werden kann. Dies gilt in gleicher Weise für Süd- wie für Mittel- und Osteuropa. Lediglich die Gründe sind unterschiedlich: Im Süden liegt es am Scheitern eines allzu ambitionierten Aufholprojektes, im Osten an dem industriellen Flurschaden aus vier Jahrzehnten sozialistischer Plan- und Kommandowirtschaft, den die Politik im Vorhinein unterschätzte. 140
    Das Ende der Konvergenzillusion stellt damit Europa vor eine fundamentale Herausforderung. Es gilt, mit Ungleichheiten zu leben, deren sich selbst verstärkendes Ausmaß jede Vorstellung überschreitet, die man sich in früheren Zeiten von zukünftigen Zuständen in Europa machen konnte. Damit steht die Europäische Union vor einem unerwarteten politischen Dilemma: Sie hat aus überzeugenden humanitären Gründen den „acquis communautaire“ der Integration des alten Kontinents auf den Prinzipien der Freiheit aufgebaut. Aber es ist genau diese Freiheit – genauer ein Element von ihr, die Freizügigkeit –, die sie heute in eine überaus schwierige strategische Lage bringt. Ohne ein Gegensteuern droht der alte Kontinent, wirtschaftlich auseinanderzufallen.
    Wie kann aber ein solches Gegensteuern in Europa aussehen? Bevor wir versuchen, diese politische Frage zu beantworten, lohnt sich ein Blick zurück auf einen weitgehend abgeschlossenen Großversuch, mit der Mobilität von Menschen vernünftig umzugehen: die Deutsche Einheit. Sie enthält wesentliche Lektionen darüber, was möglich ist und was nicht, wenn es darum geht, politische Rahmenbedingungen dafür zu setzen, dass Menschen nicht in Massen ihre Heimat verlassen, um irgendwo anders ihr Glück zu suchen.
3.3   Déjà-vu: Deutsche Einheit
    Selten in der Geschichte ließ sich die politische Macht der Mobilität besser beobachten als nach dem Mauerfall am 9. November 1989. Denn dieses epochale Ereignis war nicht nur ein großartiger Sieg der Freiheit. Es war auch ein lautes Startsignal der Mobilität. Ab diesem Tag konnte jeder ostdeutsche Arbeitnehmer als deutscher Staatsbürger in den nahe gelegenen Westen abwandern. Die Verlockung dazu war sehr groß, denn es gab kaum natürliche Hindernisse: gleiche Sprache, gleiche Kultur, gleiche industrielle Tradition, aber im Westen ein hochmoderner Kapitalstock, eine im Weltmarkt bewährte Produktpalette, recht sichere Arbeitsplätze und vor allem hohe Löhne, die im globalen Vergleich mit an der Spitze lagen. Der kapitalistische Westen war attraktiv für Millionen Ostdeutsche, und dies vor allem für die Fachkräfte und Leistungsträger unter ihnen.
    Genau dies schränkte das politisch Mögliche nach dem Mauerfall stark ein. Theoretisch war es natürlich vorstellbar, eine Massenwanderung zuzulassen. Dies hätte bedeutet: Erweiterung West statt Aufbau Ost. Es hätte vielleicht sogar recht gut funktioniert, so wie die Integration der Vertriebenen in Westdeutschland in den 1950er-Jahren, die ja ein Wirtschaftswunder befeuerte. Es wäre im Westen zu einem Investitions- und Bauboom gekommen – bei vorübergehendem Druck auf die Reallöhne, aber mit schneller Erweiterung der bereits vorhandenen leistungsfähigen Industrieanlagen. All dies war ökonomisch denkbar. Politisch lag es aber jenseits aller Vorstellungskraft: Ein „Morgenthau-Plan Ost“ mit den ehemals stolzen mitteldeutschen Industrieregionen als Rentnerparadies, grünem Biotop und landwirtschaftlicher Nutzfläche, das wäre eine historische und moralische Bankrotterklärung der wiedervereinigten Nation gewesen.
    Damit war klar: Die Deutsche Einheit wird extrem schwierig und sehr teuer. Denn

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