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Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder

Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder

Titel: Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Paqué
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selektiven Ausnahmeregeln unterworfen wurden. Eine Wiedereinführung von Mobilitätsbarrieren, wenn sie einmal abgeschafft waren, hat es dagegen noch nie gegeben.
    Alles in allem hat die EU damit recht gut leben können, ohne allzu große wirtschaftliche und politische Verwerfungen. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen erwies sich die inhärente Bereitschaft zur Mobilität der Bürger als nicht allzu groß – jedenfalls im Vergleich zu anderen hoch entwickelten Industrieländern wie den Vereinigten Staaten. Warum dies so war, liegt auf der Hand: Es gab in Europa – anders als auf dem nordamerikanischen Kontinent – hinreichend unterschiedliche Sprachen, Kulturen und Lebensweisen, um psychologische Barrieren aufzubauen, sein Glück in einem fremden Land zu suchen, und zwar selbst dann, wenn es beträchtliche internationale Lohn- und Einkommensunterschiede gab. Zum anderen waren diese Unterschiede zwar über lange Zeit sehr groß, aber im Trend schienen sie doch Schritt für Schritt abzunehmen. Dies hieß auch, dass ein Verbleib in einer Region mit aktuell noch niedrigeren Löhnen die Aussicht des schnelleren Aufstiegs versprach und damit half, die Menschen von der Abwanderung abzuhalten.
    In der Tat liegt die Zeit der ganz großen, ökonomisch motivierten Wanderungsströme innerhalb Europas recht lange zurück. So gab es zwischen 1895 und 1914 eine kräftige Ost-West-Wanderung in die großen expandierenden Montan- und Industrieregionen Deutschlands, vor allem auch aus Polen; und in den 1960er-Jahren die Welle der Gastarbeiter aus Südeuropa und der Türkei, die zwar als vorübergehend angelegt war, aber schließlich doch zu einer beträchtlichen dauerhaften Zuwanderung führte. 139 Seit den 1970er-Jahren waren die internationalen Wanderungsbewegungen in Europa dagegen relativ schwach ausgeprägt. Dafür sorgte einerseits die recht hohe Arbeitslosigkeit in den industriellen Zentren (und das dortige Vorhandensein der Babyboomer-Generation!); andererseits waren die potenziellen Auswanderungsländer des Südens und Ostens zunächst noch nicht Teil der EU mit ihrer Freizügigkeit; und als sie es dann Land für Land wurden, gab es zunächst den in Abschnitt 3.1 beschriebenen, scheinbar stabilen Trend der Konvergenz, mit guten (und zunehmend besser bezahlten) Arbeitsmöglichkeiten im eigenen Land.
    Die Zukunft wird anders aussehen, und zwar praktisch in jeder Hinsicht, die für Wanderungsentscheidungen von Bedeutung ist. Migrationsforscher unterscheiden dabei gerne zwischen dem „Push“, also der Abstoßungskraft des Auswanderungslands, und dem „Pull“, also der Anziehungskraft des Einwanderungslands. Beide Kräfte werden zunehmen: Das Ende der Aussicht auf Konvergenz wird in den Ländern des Südens und des Ostens die Bereitschaft zur Abwanderung und damit den „Push“ erhöhen; und die Knappheit an Arbeitskräften und steigende Löhne im westlichen industriellen Zentrum Europas werden die Nachfrage und damit den „Pull“ verstärken. Alle ökonomischen Zeichen deuten also auf eine neue Welle der Wanderung – als Ergebnis des üblichen Standortwettbewerbs um mobile Arbeitskräfte.
    So weit, so normal – und im historischen Vergleich keineswegs besorgniserregend. Allerdings gibt es eine Reihe von Gründen, die darauf hindeuten, dass die Welle der Wanderung im Europa der Zukunft doch eine ganz neue Dimension und Qualität erreichen könnte. Da ist zunächst das schiere Ausmaß des Gefälles der Arbeitslosigkeit in der heranwachsenden Generation von Erwerbspersonen, das sich schon heute andeutet. Schaubild 22 zeigt die Jugendarbeitslosenquoten in verschiedenen europäischen Ländern. Das Gefälle ist überaus dramatisch, noch viel dramatischer als bei der Arbeitslosigkeit im Durchschnitt der Erwerbspersonen. So steht einer Quote von über 40 Prozent in Spanien eine Quote von unter zehn Prozent in Deutschland gegenüber. Das ist tatsächlich ein historisches Novum, denn so weit auseinander lagen die Quoten noch nie. Im Zuge der demografischen Entwicklung könnte sich dieses Gefälle sogar noch vergrößern, da hierzulande die Knappheit an jugendlichen Arbeitskräften immer akuter zu werden droht, während eine Tendenzwende im Süden noch lange nicht abzusehen ist.

    Die Erfahrung lehrt: Junge Menschen sind besonders mobil, da sie zumeist noch keine tieferen Familienbindungen aufweisen, die einen Orts- oder Landeswechsel maßgeblich erschweren könnten. Hinzu kommt, dass gerade diese jüngste Generation als

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