Volle Drehzahl: Mit Haltung an die Spitze (German Edition)
Alle haben Arbeit! Auch der serbische Junge, der vor zwei Jahren zu mir kam und sich beschwerte. In sehr schlechtem Deutsch klagte er, dass er keine Chance habe in diesem Land. »Willst du hier Urlaub machen oder willst duhier leben?«, stellte ich ihn vor die Wahl. Trotzt seiner bescheidenen Sprachkenntnisse kapierte er, was ich meinte. »Arbeiten!« »Dann musst du Deutsch lernen und zwar schnell!« Er lernte Deutsch, heute hat er eine Arbeit. Wer in Deutschland leben und arbeiten will, muss Deutsch lernen. Das ist eine Grundvoraussetzung. Das heißt aber nicht, seine Wurzeln oder seine Herkunft zu verleugnen.
Gerne erinnere ich mich auch an einen türkischen Jungen aus Leonberg, dessen Bewerbungsunterlagen ich bei Porsche in die Hände bekam. Eine 3 in Betragen konnte ich übersehen, dann aber stellte ich im persönlichen Gespräch fest, dass er nicht in der Lage war, auch nur einen Satz richtig zu lesen. Dieser Junge hatte keine Chance, nirgendwo! Da war er neun Jahre zur Schule gegangen und sein Lehrer hatte nichts von seiner Leseschwäche bemerkt. Konnte ich diesen schüchternen Jungen, der mir auch eine unsichere Persönlichkeit zu sein schien, für das Versagen seines Lehrers verantwortlich machen? Ich merkte, dass der Junge Hilfe brauchte, ihm fehlten Disziplin und Rückgrat. Ich fragte ihn, ob er sich vorstellen könne, zu mir zum Thaiboxen zu kommen. Er war bereit und er kam – jeden Freitag aus dem 30 Kilometer entfernten Leonberg nach Pforzheim, bis heute. Er wird nie Welt- oder Europameister werden, aber er hat einen eisernen Willen bekommen in unserer Gruppe. Er hat erfahren, dass aus ihm etwas werden kann, wenn er einem Ziel folgt. Heute hat er seine Ausbildung bei Porsche abgeschlossen. Er ist einer der Besten und wird sogar in China eingesetzt. Hier wurde aus einem Verlierer ein Gewinner gemacht. Das Lesen hat er auch gelernt.
Ich bin nicht der Messias oder der Guru vom Haidach oder Pforzheim, denn es sind keine Wunder, die ich da oben vollbringe. Ich habe nur gelernt, dass du anpacken musst, wenndu etwas verändern willst. Dass du eine Balance finden musst zwischen Fordern und Fördern. Eines Tages kam ein anderer Junge in die Sporthalle. Mir imponierte sofort seine Ehrlichkeit. »Meister«, sagte er und es war keine unterwürfige, sondern vielmehr eine respektvolle Anrede, »ich würde so gerne bei dir mitmachen, aber ich kann mir die Handschuhe und die Schützer nicht leisten. Meine Mutter hat kein Geld, seit sie von Hartz IV leben muss.« Mir kam eine Idee. »Pass auf, ich schenke dir die Handschuhe und die Schützer, unter einer Bedingung: Du arbeitest das bei mir ab. Du kommst regelmäßig zum Training, leerst die Mülleimer, kontrollierst die Sauberkeit der Duschen und schaust am Ende, ob das Licht auch ausgemacht wurde.« Ohne eine Sekunde zu zögern, übernahm der Junge diesen Job, bis heute ist er einer unserer treuen Helfer. Der Junge hat meine Unterstützung bekommen und dabei gelernt, Verantwortung zu übernehmen.
Genauso stolz bin ich auf unseren russischen Bären. So haben wir ihn genannt, weil er groß, stark und tapsig ist. Als ich ihn vor 15 Jahren kennenlernte, war er ein unbeholfener Mensch, der von den anderen ausgenutzt wurde. In Russland hatte er sogar studiert, in Deutschland aber schaffte er es nicht, Fuß zu fassen. Es hatte damit angefangen, dass er als Aussiedler nur sehr wenig Deutsch sprach und durch die Abgrenzung seiner Landsleute auch keine Chance bekam, sich zu verbessern. Auf dem Haidach sprach man früher Russisch. Als Taxifahrer wurde er betrogen, meistens hat er umsonst gearbeitet, weil man ihn unfair behandelt hat. Auch auf dem Schlachthof wurde er nur ausgebeutet und betrogen. Er war ziemlich enttäuscht darüber, wie man mit ihm umgegangen ist, als er zu uns kam. Sein sozialer Zusammenbruch schien unausweichlich. Schon nach ein paar Wochen regelmäßigen Trainings konnte keiner in der Gruppe seineFortschritte übersehen, manche bekamen sie auch zu spüren. Der russische Bär wurde ein guter Kämpfer, er lernte Deutsch, er entwickelte Selbstbewusstsein. Ich forderte ihn immer wieder und war jedes Mal erstaunt, in welchem Tempo er zurückschlug. Immer schneller, immer härter, immer entschlossener. Das machte er zum Sinnbild seines Lebens. Der bemitleidenswerte Hilfsarbeiter ist heute eine Fachkraft für Lagerwirtschaft und ein gefragter Werkschutzfacharbeiter. Aus ihm ist etwas geworden, weil er bereit war, Nachhilfekurse zu besuchen, damit er seine
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