Volle Drehzahl: Mit Haltung an die Spitze (German Edition)
nicht mehr zu löschen ist. Ich ging zu denMännern in die Kabine. »Ich habe gehört, ihr habt ein Problem«, kam ich ohne langes Abschweifen zum Grund meines überraschenden Besuchs. Ich baute mich in voller Größe auf und schaute in die Gesichter der Fußballer. Es herrschte keineswegs eine feindselige Stimmung, ich war schließlich als Sportler zu Sportlern gekommen. Ein paar der Alten Herren jedoch wurden sichtlich nervös und ich war erstaunt, dass es nicht mal zu einer richtigen Diskussion kam. Die Sache war schnell erledigt, heute gibt es keinen Alkohol mehr in den Kabinen.
Mir wurde bei dieser Begebenheit wieder bewusst: Wir vergessen nur allzu oft, wie stark unsere Wirkung als Vorbild auf Jüngere sein kann und welchen Schaden falsches Verhalten anrichten kann. Ich war ja auch selbst bereit, auf manche Gewohnheit zu verzichten. Als ich einmal zum Training meiner Thaiboxer kam, standen ein paar meiner Jungs vor der Sporthalle und rauchten. Das widersprach meinen Vorstellungen von Disziplin, von Selbstdisziplin im Sport. Ich war selbst Raucher, achtete aber stets darauf, zwei Stunden vor dem Training keine Zigarette mehr zu rauchen. Diese Regeln hatte ich mir vor Jahren schon auferlegt, sie galten für das Rauchen vor dem Frühstück und auch für die erste Stunde nach dem Training. »Aber Meister«, entrüsteten sich meine Jungs, »du rauchst doch selbst! Wenn du als alter Mann noch zu solchen Leistungen fähig bist, dann kann Rauchen doch nicht schädlich sein!« Über den alten Mann – ich war damals Mitte 40 – konnte ich schmunzeln. Nicht aber über die Wahrheit, die in ihren Worten steckte. Trotz aller vorgelebten Selbstdisziplin musste ich einsehen, dass ich auch als Raucher ihr Vorbild war. Als ich am Abend nach Hause kam, bat ich meine Frau, sämtliche Zigarettenvorräte zu vernichten. Seit diesem Tag bin ich Nichtraucher und ich muss sagen, eswar eine gute Entscheidung. Eine gelegentliche Zigarre aber gönne ich mir.
Es kann so einfach sein, mit gutem Beispiel voranzugehen, schlechte Vorbilder gibt es genug. Die Thaiboxer vom FSV Buckenberg übrigens rauchen seitdem nicht mehr vor dem Training. Mehr als die Hälfte der Thaiboxer hat sogar ganz aufgehört. Ich bin stolz auf diese Jungs, nicht nur weil sie meinen Vorgaben folgen und Selbstdisziplin haben. Es sind die vielen Fortschritte, die sie erkennen ließen, seit wir mit dem Training begonnen haben. Vom ersten Tag an lebten wir streng nach den Regeln dieses Sports und daran hat sich bis heute jeder zu halten. Thaiboxen gestattet zwar ein größeres Repertoire an Schlägen und Tritten, doch mir ging es immer darum, die ethischen Werte zu verinnerlichen. Respekt vor dem Gegner, Schutz des Schwächeren, Selbstbeherrschung. Verbotene Tritte werden sofort geahndet, meist mit einer kurzen Demonstration von mir. Ein Tritt an die richtige Stelle zeigt dem Verursacher, dass er die empfindlichste Stelle seines Gegners zwischen den Beinen besser nicht anvisiert hätte. Ich musste vom ersten Tag an streng und unnachgiebig sein mit dieser Gruppe. Ich realisierte sehr bald, dass ich mehr sein musste als Trainer und Vorbild. Zwanzig, manchmal dreißig Jungs vom Haidach, nicht immer einfache Jugendliche verschiedener Nationalitäten und Altersgruppen, zwei Mal pro Woche losgelassen in einer Kampfsportart. Eine Gruppe, die sicherlich ein hochinteressantes Forschungsfeld für Soziologen und Gesellschaftsforscher abgegeben hätte, doch wir klärten unsere Probleme hinter verschlossenen Türen. Wir hatten unseren Ehrenkodex und es machte mich jedes Mal stolz, dass die meisten bereit waren, mitzuziehen. Als ich damals meine Trainingsarbeit mit diesen Jungs in der Sporthalle der Johanna-Wittum-Schule begann,blieb mir nicht lange verborgen, was den Haidach so berüchtigt gemacht hatte. Drogen, Gewalt, Waffen: Meine kleine Gruppe war kein Biotop von Gutmenschen in diesem Problemviertel. Im Gegenteil, diese Jungs brauchten mehr als ein paar Stunden Sport unter fachlicher Anleitung eines zweifachen Europameisters. Sie brauchten einen Freund mit den Eigenschaften eines Sozialarbeiters, der sich in ihre Situation hineinversetzen konnte. Sie brauchten einen Vertrauensmann, einen Vermittler, einen Rechtsbeistand, einen Integrationsbeauftragten, einen Kumpel, der selbst mal in der Klemme gesteckt hatte. Ich versprach, ihnen zu helfen, aber ich verlangte einen hohen Preis.
Meine Kontakte zur Polizei in Pforzheim waren inzwischen besser als zu meiner Jugendzeit, als
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