Volle Drehzahl: Mit Haltung an die Spitze (German Edition)
vermutet hatte, in der NPD und ihr nahestehenden Kreisen. Unter dem Deckmantel einer »Das wird man ja wohl noch sagen dürfen«-Phrase kam Zustimmung auch vom rechten Rand der bürgerlichen Gesellschaftskreise. Unglaublich: Ein Parteifreund von mir, der zudem 7 Jahre lang Finanzsenator im Berliner Senat gewesen war, machte Ausländerfeindlichkeit wieder salonfähig. Bis es zu einer öffentlichen Sachdebatte kam, war dieser populistische Schwachsinn schon in den Kreisen angekommen, die für Abgrenzung und Deutschtümelei besonders empfänglich sind.
Unsere Belegschaft bei Porsche ist stets ein guter Indikator für gesellschaftliche Strömungen und Veränderungen gewesen. Mehr als 50 verschiedene Nationalitäten arbeiten hier erfolgreich zusammen, nicht immer frei von Spannungen, aber immer respektvoll im täglichen Umgang. Diese Menschen fühlten sich von Sarrazin persönlich angegriffen und ich konnte sie verstehen. »Ich dachte, ich sei hier in diesem Land zu Hause«, sagte mir ein in Stuttgart geborener Türke, »aber jetzt fange ich an, mich hier als Fremder zu fühlen«. Ein Pole aus der Lackiererei, dessen Familie in zweiter Generation beiPorsche arbeitet, wollte von mir wissen, ob es verschiedene Formen von Integration in Deutschland gab. Ich antwortete ihm, dass Deutschland immer ein Einwandererland gewesen sei und dass wir auch in Zukunft eine Einwanderergesellschaft bleiben würden. »Ja, solange ihr Podolski und Klose zu Nationalspielern macht, klappt die Integration«, meinte er. Ein türkischer Nachbar brachte Özil in die Diskussion, als Schwabe fiel mir noch Khedira vom VfB Stuttgart ein, er hat einen tunesischen Vater.
Die Sorgen in unserer Belegschaft würden größer, je mehr Aufmerksamkeit Sarrazin mit Deutschland schafft sich ab erhielt. Mit besonderer Wucht traf es meine Kolleginnen und Kollegen muslimischen Glaubens. Im 8. Kapitel »Demografie und Bevölkerungspolitik: Mehr Kinder von den Klugen, bevor es zu spät ist« stand dieser geradezu skandalöse Satz: »So spielen bei Migranten aus dem Nahen Osten auch genetische Belastungen – bedingt durch die dort übliche Heirat zwischen Verwandten – eine erhebliche Rolle und sorgen für einen überdurchschnittlich hohen Anteil an verschiedenen Erbkrankheiten.« Dass auch dieser Satz von der 14. Auflage an gestrichen wurde, kann meine Empörung auch heute noch nicht mindern. Da saß ich in an meinem Schreibtisch, las diese Thesen über sogenannte Kopftuchfrauen. Gedanken, die mir alle wie aus einem Aufsatz über Rassentheorien aus dem vergangenen Jahrhundert vorkamen. War ich im falschen Film? Dann betrat auch noch ein gewisser Geert Wilders die Szene. Ein rechts-populistischer Holländer, der 2009 trotz Einreiseverbots nach London gereist war, um dort seinen islamkritischen Film Fitna im britischen Abgeordnetenhaus vorzuspielen. In England wurde Wilders verhaftet, ein Jahr später in Berlin durfte er reden und sogar um Sympathien für Sarrazin werben: »Die gegenwärtige und sehr heftigeDebatte über das kürzlich erschienene Buch Thilo Sarrazins ist ein Anzeichen dafür, dass Deutschland mit sich ins Reine kommt.« Die Saat schien also aufzugehen, die Rechten hatten einen neuen Guru gefunden und ich war konsterniert über die Leichtigkeit dieses Despoten Sarrazin, wie er sich mit falschen und sinnentstellenden Statistiken so viel geistige Umweltverschmutzung leisten konnte. Ich würde diese verblendeten Geistesbrüder Wilders und Sarrazin gerne mal zu einer Betriebsversammlung einladen, damit sie unserer Belegschaft erklären, was sie überhaupt meinen, wenn Sätze wie diese bei Wilders Rede in Berlin fallen: »Ein Deutschland voller Moscheen und verschleierter Frauen ist nicht mehr das Deutschland Goethes, Schillers und Heines, Bachs und Mendelssohns. Es wäre für uns alle ein Verlust. Es ist wichtig, dass Sie als Nation diese Wurzeln hegen und erhalten. Andernfalls wird es Ihnen nicht möglich sein, Ihre Identität zu bewahren; Sie würden als Volk abgeschafft und Sie würden Ihre Freiheit verlieren. Und das übrige Europa würde zusammen mit Ihnen seine Freiheit verlieren.«
Mir wurde schlecht beim Lesen dieser Zitate. Mir gefiel auch nicht die große Bühne, die die Medien Thilo Sarrazin boten. Das »S-Wort« war allgegenwärtig und das Bildungsbürgertum hatte eine neue Lieblingsdebatte. Natürlich weiß ich, dass Sarrazin bewusst zu Übertreibungen und Zuspitzungen griff, um eine öffentliche Integrationsdebatte in Gang zu bringen.
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