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Volle Drehzahl: Mit Haltung an die Spitze (German Edition)

Volle Drehzahl: Mit Haltung an die Spitze (German Edition)

Titel: Volle Drehzahl: Mit Haltung an die Spitze (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Hück
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Zeitgenossen aber warte ich bis heute. Obwohl auch er zu den gefragtesten Gästen der Talkshows gehört, haben sich unsere Wege noch nicht gekreuzt. Mit keinem anderen würde ich so gerne diskutieren wie mit Thilo Sarrazin! Und glauben Sie mir: Das würde kein Plausch werden zwischen zwei Sozialdemokraten. Ich frage mich vielmehr, was dieser Mensch in unserer Partei überhaupt noch zu suchen hat. Ich will das Theater um Sarrazin und die SPD bestimmt nicht noch einmal erleben, aber verstanden habe ich bis heute nicht, warum sich die Parteispitze, die im September 2010 einheitlich für einen Parteiausschluss ihres populistischen Sozialstaatkritikers ausgesprochen hatte, im April 2011 plötzlich umkippte. Was war geworden aus der engagierten und sachlich so hervorragenden Auseinandersetzung von SPD-Chef Sigmar Gabriel mit dem ehemaligen Bundesbanker, der dabei war, den sozialen Frieden dieser Republikdurch seine unverantwortlichen Thesen zu gefährden? Ich habe nie erfahren, wie es zu diesem merkwürdigen Burgfrieden gekommen ist und welche Rolle dabei Generalsekretärin Andrea Nahles gespielt hat. Monatelang war an der Strategie eines möglichen Parteiausschlussverfahrens gefeilt worden, das von der großen Mehrheit unserer Parteimitglieder getragen wurde, und dann knickte Frau Nahles plötzlich ein. Das Schiedsgericht in Sarrazins Kreisverband soll entscheidend gewesen sein, machte uns die Parteiführung glauben und manövrierte sich in die nächste Krise. Die Jusos forderten Nahles’ Rücktritt, Sarrazin-Gegner Gabriel musste ihr demonstrativ den Rücken stärken, die Migranten in der SPD tobten. Bis heute ist Thilo Sarrazin Parteimitglied, dabei hatte ich gehofft, dass er dem Rat unseres Landeschefs Nils Schmid gefolgt und freiwillig aus der Partei ausgetreten wäre. Die Situation hat sich heute, ein Jahr später, beruhigt, in mir aber brodelt es immer noch. Denn immer noch kann dieser Demagoge seine Thesen ungehindert unters Volk bringenund mit den unterschwelligen Ängsten der Menschen spielen. Immer noch kann Sarrazin seine halbgaren Zutaten zu einem süßlichen Brei verrühren und einer Klientel vorsetzen, die seine Bücher hunderttausendfach kauft und die vereinfachten und verfälschten Sachverhalte nur zu leicht in den falschen Hals bekommt. Noch immer verfügt dieser Thilo Sarrazin über ein gefährliches Mobilisierungspotenzial und darüber würde ich gerne einmal mit ihm diskutieren.
    Ich habe die aktuelle Auflage seines Bestsellers Deutschland schafft sich ab nicht mehr gelesen, ein zweites Mal wollte ich mir dieses Buch nicht antun. Ein paar der umstrittensten Passagen soll Sarrazin darin unter dem Druck einer empörten Öffentlichkeit und der wissenschaftlichen Kritik gestrichen haben. Mir hat gereicht, was ich in einer früheren Auflage gelesen habe. Und mich hat geradezu schockiert, wie manche meiner Kolleginnen und Kollegen mit Migrationshintergrund auf diese pseudowissenschaftlichen Thesen reagiert haben, die in Deutschland eine längst überwunden geglaubte Diskussion um die Integration von Muslimen losgetreten haben.
    Schon 2009 – ein Jahr also vor Veröffentlichung seines umstrittenen Buches – verriet Sarrazin in einem Interview mit dem Stern einige seiner skandalösen Gedanken: »Jemanden, der nichts tut, muss ich auch nicht anerkennen. Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert. Das gilt für 70 Prozent der türkischen und 90 Prozent der arabischen Bevölkerung in Berlin.« Schon hier skizzierte Sarrazin den Frontalangriff auf unsere moderne Gesellschaft und auf die vermeintlichen Schmarotzer unseres Sozialstaats. In der Erstauflage seines späteren Buchesmusste ich dann Sätze wie diesen lesen: »Demografisch stellt die enorme Fruchtbarkeit der muslimischen Migranten eine Bedrohung für das kulturelle und zivilisatorische Gleichgewicht im alternden Europa dar«. War das schon Rassismus oder nur ein dümmlicher Angriff auf die Würde der bei uns lebenden Minderheiten? Je mehr Passagen ich las, desto ungeheuerlicher fand ich die geschmacklosen Inhalte. Dieser Biedermann zündelte. Er spielte mit den dumpfen Ängsten von Teilen der Bevölkerung, deren Skepsis vor einer multikulturellen Gesellschaft immer schon latent vorhanden war. Mich schockiert noch heute, wie sich die Anhänger von Sarrazins Ideen nicht nur dort rekrutierten, wo ich sie ohnehin

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