Vollendet - Der Aufstand (German Edition)
Algebra.«
Sie dreht ihm den Rücken zu, schnappt sich die Decke und wickelt sie um sich. »Ich will, dass du jetzt gehst.«
»Es tut mir leid«, fleht er. »Ich wollte nicht, dass es Geheimnisse zwischen uns gibt.«
»Bitte geh.«
Er hält etwas Abstand. »›Ich wäre lieber teilweise bedeutend als vollkommen nutzlos.‹ War das nicht das Letzte, was er zu dir gesagt hat? Ich finde, es liegt in meiner Verantwortung, ihm diesen Wunsch zu erfüllen.«
Und dann geht er ins Haus. Sie bleibt zurück, den Kopf vollgestopft mit den Gedanken anderer Leute.
Zehn Minuten später steht Risa immer noch in die Decke gehüllt da. Sie will nicht hineingehen, aber ihr wird so langsam übel von den wirbelnden Gedanken in ihrem Kopf.
Ich kann nicht nachgeben – ich muss nachgeben – ich kann nicht nachgeben. So geht das immer weiter, bis sie ihren Verstand am liebsten einfach herunterfahren würde.
Als sie schließlich ins Haus geht, hört sie Musik. Das ist nicht ungewöhnlich, doch diesmal kommt sie nicht aus dem Lautsprecher. Jemand spielt klassische Gitarre. Das Stück klingt spanisch, und obwohl die zwölfsaitige Konzertgitarre immer ein wenig nach Spanien klingt, hat dieses Stück eindeutig Flamenco-Charakter.
Risa folgt der Musik in das große Wohnzimmer. Dort sitzt Cam über das Instrument gebeugt, völlig vertieft in sein Spiel. Sie wusste nicht einmal, dass er spielt. Aber es dürfte sie nicht überraschen, denn er hat ja eine breite Palette an Begabungen mit auf den Weg bekommen. Dennoch: Wer so Gitarre spielt, bei dem muss zunächst Muskelgedächtnis, kortikales und akustisches Gedächtnis im Hirnstamm zusammengeführt werden, wo dann alles koordiniert wird.
Die Musik beruhigt Risa, entwaffnet sie, verzaubert sie. Ihr wird klar, dass hier nicht einfach nur die Teile anderer Leute am Werk sind. Jemand hat diese Teile in Einklang gebracht. Zum ersten Mal sieht Risa Cam wirklich als Individuum, als einen Menschen, der darum ringt, die vielen Talente, die er bekommen hat, zu harmonisieren. Er hat nicht um diese Gaben gebeten und hätte sie auch nicht ablehnen können. Obwohl er Risa noch vor fünf Minuten vor den Kopf gestoßen hat, tröstet sie diese neue Erkenntnis. Sie setzt sich am anderen Ende des Wohnzimmers ans Klavier und begleitet ihn mit einfachen Akkorden.
Als er sie bemerkt, setzt er sich mit seinem Instrument neben sie. Die beiden sagen nichts, sondern kommunizieren über Rhythmen und Harmonien. Cam überlässt es Risa, das Stück weiterzuentwickeln, ehe sie nahtlos wieder an ihn übergibt. Sie könnten stundenlang so weiterspielen, und als sie merken, dass tatsächlich Stunden vergangen sind, will keiner von beiden als Erster aufhören.
Vielleicht , denkt Risa, bekommt dieses Leben doch noch einen Sinn, vielleicht auch nicht – aber jetzt, in diesem Moment, gibt es nichts Wunderbareres, als sich in der Musik zu verlieren. Dieses herrliche Gefühl hatte sie völlig vergessen.
47.
Publikum
Nach der Werbepause erhält das Publikum ein Zeichen und applaudiert, als hätten die Fernsehzuschauer zu Hause etwas verpasst.
»Für diejenigen unter Ihnen, die gerade erst zugeschaltet haben«, beginnt einer der Moderatoren, »unsere Gäste sind heute Camus Comprix und Risa Ward.«
Der junge Mann mit der vielfarbigen Haut, die auf das Auge exotisch und doch angenehm wirkt, winkt dem Publikum mit einer Hand zu. Mit der anderen hält er unablässig die Hand des hübschen Mädchens neben ihm. Das Paar sieht perfekt aus, wie füreinander geschaffen. Camus lässt sich, wie das Publikum erfährt, lieber mit Cam anreden. Sein Äußeres ist noch interessanter als in den vielen Werbeclips, die das Publikum schon gesehen hat. Die Werbung hat auf etwas Mysteriöses und Wunderbares vorbereitet, doch dieser Junge ist nicht mysteriös, sondern einfach nur wunderbar. Der Schock, mit dem das Publikum auf sein Erscheinungsbild hätte reagieren können, ist dank der vorangegangenen Werbekampagne berauschender Neugier gewichen.
Das Studiopublikum weiß, wie die Zuschauer zu Hause auch, dass es hier etwas ganz Besonderes erlebt – Cams ersten öffentlichen Auftritt. Und wie könnte man ihn besser im Scheinwerferlicht willkommen heißen als in der freundlichen und harmlosen Frühstücksshow Brunch mit Jarvis und Holly? Alle lieben Jarvis und Holly, die ihre Gäste in einem gemütlichen, aber schicken Studiowohnzimmer begrüßen und stets witzig und souverän sind.
»Cam, es hat eine Kontroverse darüber gegeben, wie du
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