Vollendet - Der Aufstand (German Edition)
sich, sie wäre nie geboren worden.
Warum machst du das alles, Risa?
Es sind die Stimmen der Kids auf dem Friedhof. Warum? Es ist Connors Stimme, die sie anklagt, und zwar mit vollem Recht. Sie wünschte, sie könnte ihm ihre Gründe erläutern, den teuflischen Pakt, den sie mit Roberta geschlossen hat – einer Teufelin, so mächtig, dass sie sich einen perfekten Jungen zusammenbauen kann.
Und perfekt könnte er durchaus sein. Zumindest in den Augen der Gesellschaft. Risa kann nicht leugnen, dass Cam sein Potenzial täglich besser ausschöpft. Er ist klug und stark und kann enorm weise sein, wenn er nicht gerade enorm exzentrisch ist. Dass sie ihn zunehmend als einen echten Menschen betrachtet statt als zusammengebastelten Pinocchio, beunruhigt sie fast so sehr wie das, was sie heute vor der Kamera von sich gegeben hat.
Jemand trommelt gegen die Toilettentür.
»Risa!«, ruft Cam. »Ist alles in Ordnung mit dir? Bitte komm raus, du machst mir Angst.«
»Lass mich in Ruhe!«, schnauzt Risa.
Er sagt nichts mehr, aber als sie fünf Minuten später endlich die Toilette verlässt, steht er immer noch da. Er hätte wahrscheinlich den ganzen Tag und die ganze Nacht gewartet. Ob er diese eiserne Beharrlichkeit aus seinen Teilen bezieht oder ob er sie selber entwickelt hat?
Plötzlich kann sie nicht anders: Sie bricht in Tränen aus und wirft sich ihm in die Arme, ohne überhaupt zu wissen, warum. Sie würde ihn am liebsten in Stücke reißen und wünscht sich trotzdem verzweifelt, von ihm getröstet zu werden. Sie möchte alles zerstören, wofür er steht, und will sich doch an seiner Schulter ausweinen, weil keine andere Schulter da ist. Um sie herum tun die Leute unbeteiligt, gaffen sie aber verstohlen an. Der Anblick dieser scheinbar verliebten Seelen wärmt den Menschen das Herz.
»Unfair«, sagt er. »Man dürfte das nicht von dir verlangen, wenn du es nicht willst.« Dass ausgerechnet er, das Objekt all dieser Aufmerksamkeit, sie versteht, mit ihr mitfühlt und auf ihrer Seite ist, bringt Risa noch mehr durcheinander.
»Es wird nicht immer so sein«, flüstert Cam ihr zu. Sie würde das gern glauben, aber im Moment fürchtet sie nur, dass es noch schlimmer wird.
49.
Cam
Roberta hat ihm vieles verschwiegen. Dass sie Risa dermaßen unter ihrer Fuchtel hat, ist nicht nur eine Frage des stärkeren Willens. Es ist auch keine Dankbarkeit, denn Risa ist nicht dankbar für die neue Wirbelsäule, im Gegenteil: Sie empfindet sie offensichtlich als Last, die sie lieber nicht tragen würde. Aber warum hat sie dann eingewilligt?
Immer, wenn sie zusammen sind, hängt diese Frage schwer in der Luft, doch sobald er das Thema anspricht, erwidert Risa nur: »Ich musste es eben tun.« Und wenn er weiterbohrt, verliert sie die Geduld und sagt, er solle aufhören, sie zu bedrängen. »Ich habe meine Gründe.«
Er würde zu gern glauben, dass sie das alles für ihn tut, obwohl es ihr eindeutig gegen den Strich geht. Aber die Teile von ihm, die so naiv sind anzunehmen, dass sie die Interviews und Werbeauftritte für ihn macht, werden von denen überwogen, die es besser wissen.
Der Auftritt in Brunch mit Jarvis und Holly hat Cam eindrücklich vor Augen geführt, wie sehr Risa ihr Part in dieser Sache quält. Dass sie ihm erlaubt hat, sie zu trösten, ändert nichts daran. Allerdings fühlt er sich nun verantwortlich, der Sache auf den Grund zu gehen – nicht nur sich, sondern auch Risa zuliebe. Denn wie soll zwischen ihnen jemals etwas echt sein, wenn nicht alle Karten offen auf dem Tisch liegen?
Es muss an dem Tag begonnen haben, an dem sie die Einwilligungserklärung unterzeichnet hat, doch es ist völlig sinnlos, Roberta danach zu fragen. Da wird Cam klar, dass er das gar nicht braucht – denn Roberta ist die Meisterin der Videoüberwachung.
»Ich muss die Überwachungsdaten vom 17. April sehen«, erklärt Cam nach ihrer Rückkehr nach Molokai dem Sicherheitsmann, mit dem er immer Basketball spielt und zu dem er einen guten Draht hat.
»Die darf ich dir nicht geben«, antwortet der Mann wie aus der Pistole geschossen. »Die darf man nur mit der Erlaubnis von Du-weißt-schon-wem einsehen. Bring mir die Erlaubnis, dann zeige ich dir, was du sehen willst.«
»Sie muss es ja nicht erfahren.«
»Trotzdem.«
»Aber es wäre auch nicht gut, wenn ich ihr erzählen würde, dass ich dich beim Stehlen erwischt habe, nicht wahr?« Da kommt der Wachmann ins Stottern. »Leg es nicht drauf an«, warnt Cam. »Du sagst vielleicht:
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