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Vollendet - Der Aufstand (German Edition)

Vollendet - Der Aufstand (German Edition)

Titel: Vollendet - Der Aufstand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Shusterman
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durcheinanderwirbeln.

    Am nächsten Tag – zumindest glaubt er, es ist der nächste Tag – ist er nicht mehr so müde. Der Kopfschmerz hat nachgelassen, nicht aber seine Verwirrung. Er vermutet jetzt, dass der weiße Raum, den er für ein Krankenhauszimmer gehalten hat, gar keins ist. Die Architektur deutet darauf hin, dass er sich in einem Privathaus befindet, das für die Genesung eines einzigen Patienten umgerüstet wurde. Draußen vor dem Haus hört er auch bei geschlossenem Fenster seltsame Geräusche, ein unablässiges, rhythmisches Brüllen und Fauchen. Erst nachdem er es einen Tag lang gehört hat, wird ihm klar, was es ist: Wellen, die sich an Felsen brechen. Wo immer er genau sein mag – das ist das Meer, und er sehnt sich danach, es zu sehen. Er bittet Roberta darum, und sie tut ihm den Gefallen. Heute ist der Tag, an dem er aus dem Bett darf. Zwei starke uniformierte Wachmänner kommen mit Roberta ins Zimmer. Sie lösen die Riemen, stützen ihn unter den Achseln und helfen ihm auf die Beine.
    »Hab keine Angst«, sagt Roberta. »Ich weiß, dass du es kannst.«
    Als er zum ersten Mal steht, erfasst ihn ein Schwindel. Er sieht seine nackten Füße oder besser gesagt nur die Zehen, die unter dem hellblauen Krankenhauskittel hervorragen. Diese Zehen scheinen Kilometer weit weg zu sein. Er beginnt zu gehen, mühsam, einen Schritt nach dem anderen.
    »Gut«, sagt Roberta, die neben dem einen Wachmann hergeht. »Wie fühlt sich das an?«
    »Fallschirmspringen«, antwortet er.
    »Hm.« Roberta überlegt. »Meinst du so gefährlich oder so aufregend?«
    »Ja.« Innerlich wiederholt er die beiden Wörter. Er zieht sie aus einer riesigen Kiste unsortierter Adjektive heraus und ordnet sie an ihrem richtigen Platz wieder ein. In der Kiste purzeln noch viele Wörter durcheinander, die er eins nach dem anderen einsortieren muss.
    »Es ist alles da drin«, hat Roberta ihm mehr als einmal erklärt. »Du musst es nur finden.«
    Die beiden Wachen stützen ihn weiter unter den Achseln, während er durchs Zimmer schlurft. Als ein Knie einknickt, wird ihr Griff fester.
    »Vorsichtig, Sir.«
    Die Wachen nennen ihn immer »Sir«. Das muss bedeuten, dass man Respekt vor ihm hat, obwohl er sich nicht vorstellen kann, warum. Er beneidet die Männer darum, dass sie einfach nur »sein« können, ohne daran arbeiten zu müssen.
    Roberta geht vor den dreien einen Flur entlang, der sich scheinbar endlos hinzieht, dabei misst er bestimmt nicht mehr als zehn Meter.
    Über ihm in einer Ecke hängt ein Gerät mit einem schwenkbaren Aufsatz, der seinen Bewegungen ständig folgt. Genau so ein Gerät beobachtet ihn auch still und leise in seinem Zimmer. Elektrisches Auge. Zyklopenlinse. Er kennt den Namen des Geräts. Es liegt ihm auf der Zunge. »Bitte lächeln!«, sagt er. »Rollfilm. Und … Action! Kodak-Moment.«
    »Das Wort, nach dem du suchst, fängt mit einem K an, mehr kann ich dir nicht verraten«, sagt Roberta.
    »Ku… Ku… Kadaver. Klavier. Kavallerie. Kanada.«
    Roberta schürzt die Lippen. »Das kannst du aber besser.«
    Er seufzt und gibt auf, damit die Frustration ihn nicht überwältigt. Im Moment ist es schon schwierig genug, sich auf den Beinen zu halten. Er kann nicht gleichzeitig gehen und denken.
    Sie kommen durch eine Tür und sind plötzlich sowohl drinnen als auch draußen.
    »Balkon!«, ruft er.
    »Ja«, sagt Roberta. »Das kam schnell.«
    Hinter dem Balkon liegt ein endloses Meer, das in der warmen Sonne schimmert, und vor ihm stehen zwei Stühle und ein kleiner Tisch. Auf dem Tisch sind ein Teller mit Plätzchen und ein Kristallkrug mit einem weißen Getränk angerichtet.
    Den Namen des Getränks müsste er kennen.
    »Reiseproviant«, sagt Roberta. »Deine Belohnung für den langen Weg.«
    Sie setzen sich einander gegenüber, den Tisch zwischen sich. Die Wachen bleiben da, falls er ihre Hilfe braucht oder sich womöglich vom Balkon auf die zerklüfteten Felsen stürzen will. Auf diesen Felsen sind Soldaten mit schweren Waffen positioniert – zu ihrem Schutz, wie Roberta behauptet. Er fragt sich, ob die Männer auf den Felsen wohl immer noch »Sir« zu ihm sagen, wenn er ihnen auf den Kopf fällt.
    Roberta gießt die weiße Flüssigkeit aus dem Krug in Kristallgläser, die das Licht reflektieren und in zufälligen Mustern auf den Steinboden des Balkons werfen. Er beißt in einen Keks. Schokostückchen. Der intensive Geschmack weckt plötzlich weitere Erinnerungen aus dem Winterschlaf. Er denkt an seine Mutter.

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