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Vollendet - Der Aufstand (German Edition)

Vollendet - Der Aufstand (German Edition)

Titel: Vollendet - Der Aufstand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Shusterman
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nennt man den Lauf noch mal? Er fängt mit einem M an.
    »Karo!«, ruft er triumphierend. »Marathon! Karo!«
    »Ja, ich kann mir vorstellen, dass dich das auslaugt wie ein Marathon«, erwidert die Frau. »Aber es ist die Mühe wert.« Sie fasst an den Kragen ihrer Bluse. »Du hast recht, das ist wirklich ein Karomuster.« Sie lächelt, diesmal richtig, und berührt ihn mit dem Finger an der Stirn. Er spürt die Spitze ihres Nagels. »Ich habe dir doch gesagt, dass es da drin ist.«
    Nun, da seine Gedanken langsam zur Ruhe kommen, wird ihm klar, dass er die Frau kennt. Er hat nur keine Ahnung, woher.
    »Wer?«, fragt er. »Wer? Wo? Wann?«
    »Wie, was und warum«, fügt sie schmunzelnd hinzu. »Deine Fragewörter sind alle da.«
    »Wer?«, wiederholt er, ohne auf den Witz einzugehen, den sie auf seine Kosten gemacht hat.
    Sie seufzt. »Wer ich bin? Man könnte sagen, ich bin dein Prüfstein, deine Verbindung zur Welt – und gewissermaßen deine Übersetzerin, denn ich verstehe dich wie kaum ein anderer. Ich bin Spezialistin für Metalinguistik.«
    »Meta … Meta …«
    »Die Natur der Sprache, die du sprichst. Bildhafte Verknüpfungen. Aber ich bringe dich nur durcheinander. Kümmere dich nicht weiter darum. Ich heiße Roberta. Aber das kannst du nicht wissen, denn all die Male, die du mich gesehen hast, habe ich dir meinen Namen nicht genannt.«
    »All die Male?«
    Roberta nickt. »Man könnte sagen, dass du mich nur einmal gesehen hast, und trotzdem waren es viele, viele Male. Verstehst du?«
    Wieder gleicht es einem Marathon, als er sein Gehirn nach dem Wort durchforstet, das er sagen möchte. »Gollum in den Höhlen. ›Antworte, dann führe ich dich hinaus.‹ ›Keinbein lag auf Einbein‹ …«
    »Mach nur weiter«, ermuntert ihn Roberta. »Ich weiß, du schaffst es.«
    »Rätsel!«, sagt er. »Marathon, ja, aber Mühe wert. Das Wort – Rätsel!«
    »Sehr gut.« Roberta berührt sanft seine Hand. Er sieht sie lange an. Sie ist älter als er. Er weiß das, obwohl er keine Ahnung hat, wie alt er eigentlich ist. Sie ist hübsch, auf eine mütterliche Art. Blondes Haar mit leicht braunem Ansatz, wenig Make-up. Ihre Augen wirken jünger als der Rest ihres Gesichts. Aber diese Bluse …
    »Medusa«, sagt er. »Altes Weib. Hexe. Schiefe, verfaulte Zähne.«
    Sie beugt sich angespannt nach vorn. »Du findest mich hässlich?«
    »Hääässlich!« Er kostet das Wort aus. »Nein, nicht du! Hässliches grünes Karo, hässlich.«
    Roberta lacht erleichtert und blickt auf ihre Bluse hinab.
    »Na ja, über Geschmack lässt sich nicht streiten, nicht wahr?«
    Weiße Mütze! Koch! Mein Vater war Koch! Nein, Polizist. Nein, Fabrikarbeiter. Nein, Anwalt. Bauarbeiter, Apotheker, Zahnarzt, arbeitslos, tot. Seine Gedanken sind alle richtig und alle falsch. Sein Gehirn ist ein einziges großes Rätsel, das er nie lösen wird. Nun spürt er die Furcht, von der Roberta gesprochen hat. Sie wallt in ihm auf und wieder kämpft er gegen seine Fesseln. Es sind nicht nur Riemen, sondern auch Verbände.
    »Wer?«, fragt er wieder.
    »Ich habe es dir doch schon gesagt«, erwidert Roberta. »Weißt du es nicht mehr?«
    »Nein! Wer? «, fragt er. »Wer?«
    Da erst versteht Roberta seine Frage. Sie hebt die Augenbrauen. »Ach so. Wer du bist?«
    Er wartet ängstlich auf die Antwort.
    »Ja, das ist die Millionenfrage, nicht wahr? Wer bist du? « Sie tippt sich mit den Fingerspitzen ans Kinn und überlegt. »Der Ausschuss konnte sich nicht auf einen Namen einigen. Natürlich haben sie alle eine Idee, die aufgeblasenen Knallfrösche. Während sie sich noch darum zanken, kannst du dir vielleicht selber einen aussuchen.«
    »Aussuchen?« Aber warum muss er sich einen Namen aussuchen? Müsste er nicht schon einen haben? Er geht innerlich mehrere Namen durch: Matthew, Johnny, Eric, José, Chris, Alex, Spencer – und obwohl einige ihm wahrscheinlicher vorkommen als andere, findet er in keinem die Identität, die ein echter Name vermitteln müsste. Er schüttelt den Kopf, um die Gedanken – irgendwelche Gedanken – zu ordnen, aber das Kopfschütteln tut nur weh.
    »Aspirin«, sagt er. »Ibuprofen-Aspirin, dann Schäfchen zählen.«
    »Ja, du bist bestimmt müde. Wir füllen die Infusion mit dem Schmerzmittel auf und dann kannst du dich ausruhen. Wir reden morgen weiter.«
    Sie tätschelt ihm die Hand, schaltet das Licht aus, geht aus dem Zimmer und lässt ihn allein mit seinen Gedankenfetzen, die in der Dunkelheit ohne jede Logik

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