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Vollendet - Der Aufstand (German Edition)

Vollendet - Der Aufstand (German Edition)

Titel: Vollendet - Der Aufstand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Shusterman
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regiert die Welt«, gibt Kenny zu. »Außerdem hat man nicht jeden Tag die Chance, Geschichte zu schreiben.«
    Das also bin ich? , denkt Cam. Künftige Geschichte? Er versucht sich vorzustellen, wie der Name Camus Composite-Prime einst in der Schule gelehrt wird, doch es fällt ihm schwer. Es liegt am Namen. Er klingt zu klinisch, eher wie ein Experiment, nicht wie dessen Ergebnis. Er sollte es abkürzen zu Camus ComPri. Bilder von Rennautos, die um eine Kurve jagen, schießen ihm durch den Kopf. Grand Prix! Genau! Camus Comprix. Stummes S, stummes X – ein Name, der ebenso viele Geheimnisse birgt wie er!
    Er verzieht das Gesicht, als ihm Kenny Eis auf die Schulter legt, doch heute tut sogar der Schmerz gut.
    »Kinder-Marathon, keine Schöpfkelle.« Er räuspert sich und lässt dem Gedanken Zeit, sich zu formen, ehe er die richtigen Worte spricht. »Der Marathon, den ich da laufe … der ist jetzt kinderleicht. Ich bin überhaupt nicht mehr erschöpft.«
    Kenny lacht. »Habe ich nicht gesagt, dass es einfacher wird?«
    An diesem Mittag sitzt Cam mit Roberta auf dem Balkon. Das Mittagessen wird auf dem Silbertablett serviert. Jeden Tag ist das Essen vielfältiger, doch immer werden nur kleine Portionen gereicht. Krabbencocktail. Rote-Bete-Salat. Hühnercurry mit Couscous. Lauter leckere Sachen, die seine Geschmacksknospen kitzeln, Mikroerinnerungen auslösen und dafür sorgen, dass Nervenverbindungen seinen hervorragenden Geschmacks- und Geruchssinn verfestigen.
    »Das gehört alles zur Heilung«, erklärt ihm Roberta beim Essen. »Es gehört zu deiner Entwicklung.«
    Nach dem Mittagessen sitzen sie wie jeden Tag vor dem Tischmonitor, dessen Bilder sein visuelles Gedächtnis stimulieren sollen. Die Bilder sind jetzt komplizierter, nicht mehr so einfach wie der Eiffelturm oder das Feuerwehrauto. Es sind Szenen aus Theaterstücken, komplizierte Kunstwerke, die Cam identifizieren soll – wenn nicht den Titel des Werks, so doch zumindest den Namen des Künstlers.
    »Was ist das für eine Figur?«
    »Lady Macbeth.«
    »Und was macht sie da?«
    »Weiß nicht.«
    »Dann erfinde etwas. Nutze deine Fantasie.«
    Es tauchen Bilder von Menschen unterschiedlichster Herkunft auf, und Roberta bittet Cam, sich vorzustellen, wer sie wohl sind. Was sie wohl denken. Er darf erst sprechen, wenn er einen Augenblick überlegt und sich die richtigen Worte zurechtgelegt hat.
    »Mann im Zug. Überlegt sich, was es zu Hause zum Abendessen gibt. Wahrscheinlich wieder Hähnchen. Hähnchen steht ihm bis zum Hals.«
    Da fällt Cam zwischen den vielen Bildern das eines Mädchens auf. Roberta folgt seinem Blick und will das Bild wegwischen, doch Cam hält ihre Hand fest.
    »Nein. Ich will es sehen.«
    Widerstrebend hebt Roberta die Hand vom Bildschirm. Cam zieht die Aufnahme zu sich heran und vergrößert sie. Er sieht, dass das Bild nicht mit der Billigung des Mädchens gemacht wurde. Die Perspektive ist merkwürdig, vielleicht wurde es heimlich aufgenommen. Eine Erinnerung blitzt auf. Dasselbe Mädchen. Im Bus.
    »Das Bild hat hier nichts zu suchen«, sagt Roberta. »Können wir weitermachen?«
    »Noch nicht.«
    Cam kann nicht genau erkennen, wo das Bild aufgenommen wurde. Es ist im Freien. Staubige Umgebung. Das Mädchen spielt Klavier, und über ihr hängt etwas Dunkles, Metallisches, das ihr Schatten spendet. Das Mädchen ist wunderschön.
    »Gestutzte Flügel. Gebrochener Himmel.« Cam schließt die Augen, weil ihm Robertas Aufforderung wieder einfällt, erst die richtigen Worte zu finden. »Sie ist wie ein … Engel, der sich beim Sturz auf die Erde verletzt hat. Sie macht heilende Musik, aber nichts kann ihre gebrochenen Flügel kurieren.«
    »Sehr hübsch«, sagt Roberta wenig überzeugend. »Dann zum nächsten Bild.«
    Sie beugt sich vor und versucht erneut, das Bild wegzuschieben, doch Cam zieht es in seine Ecke des Tischmonitors, wo sie nicht herankommt. »Nein. Bleibt hier.«
    Dass sich Roberta darüber ärgert, macht Cam umso neugieriger. »Wer ist sie?«
    »Niemand von Bedeutung.« Aber Robertas Reaktion spricht für sich.
    »Ich werde sie kennenlernen.«
    Roberta lächelt bitter. »Das ist sehr unwahrscheinlich.«
    »Wir werden sehen.«
    Sie machen weiter, doch Cams Gedanken kreisen um das Mädchen. Er wird herausfinden, wer sie ist, und dann wird er sie kennenlernen. Er wird erfahren, was er wissen muss, oder vielmehr wird er das, was sich bereits in seinem zersplitterten Gehirn befindet, zusammenführen und koordinieren. Wenn ihm

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