Vollendet - Der Aufstand (German Edition)
geschafft!
»Sechs – sieben – acht – neun – zehn!«
Noch bevor er überhaupt begreift, dass er betrogen worden ist, trifft ihn das Pfeilgeschoss im Nacken und gibt die volle Betäubungsdosis direkt in den Hirnstamm ab. Die Beine geben unter ihm nach, und plötzlich könnte die Tür, die gerade noch so nah schien, genauso gut eine Million Kilometer weit weg sein. Er verdreht die Augen, die Welt um ihn verschwimmt, und ein modriger Giftgeruch dringt ihm in die Nase, als er mit dem Kopf auf den Boden schlägt. Er kämpft verzweifelt darum, bei Bewusstsein zu bleiben, während über ihm Nelsons Schatten auftaucht, ein dunkler Geist, der immer schwächer wird … Kurz bevor er das Bewusstsein verliert, hört er Nelson noch sagen: »Deine Augen gefallen mir wirklich. Besser als die, die ich habe.«
12.
Nelson
J.T. Nelson wird mit dem Verkauf unvorsichtiger Kinder auf dem Schwarzmarkt nicht reich. Auch als er noch im Namen des Gesetzes flüchtige Wandler einfing, war damit nicht viel zu verdienen, doch damals machte ihm das nichts aus. Als JuPo genügten ihm sein regelmäßiges Einkommen, die Krankenversicherung und die sichere Pension. Er war zufrieden damit, für Ordnung zu sorgen und flüchtige Wandler der Gerechtigkeit zuzuführen. Doch das änderte sich an dem Tag, an dem ihn der Flüchtling aus Akron mit seinem eigenen Betäubungsgewehr lahmlegte. Jetzt, fast ein Jahr später, bekommt er das Bild von Connor Lassiter immer noch nicht aus dem Kopf – dieser selbstgefällige, arrogante Gesichtsausdruck, als er Nelson mit der Waffe ins Bein schoss.
Nelson kam es damals so vor, als müsste alle Welt diesen Schuss gehört haben.
Von diesem Augenblick an war sein Leben die Hölle. Er wurde zur Zielscheibe beißenden Spotts, nicht nur in seiner Abteilung, sondern im ganzen Land. Er war der Lächerlichkeit preisgegeben – der Cop, der den berüchtigten Wandler hatte entkommen lassen. Connor Lassiter wurde zur Legende, während Nelson seinen Job und seine Selbstachtung verlor. Sogar seine Frau verließ ihn.
Aber er ließ sich nicht lange hängen. Er war voller Zorn, wusste diesen Zorn aber zu seinem Vorteil zu nutzen. Wenn die Jugendbehörde ihn nicht mehr haben wollte, konnte er das Geschäft genauso gut allein machen. Die Schwarzmarkthändler lachen ihn nicht aus, weil Connor Lassiter ihm durch die Lappen gegangen ist. Sie stellen keine Fragen.
Am Anfang waren es nur EAs. Dumm, wie sie waren, gingen sie ihm leicht in seine zahlreichen Fallen. Dann fing er seinen ersten Ausreißer ein, einen Jungen, dessen DNA nicht in der EA-Wandler-Datenbank geführt wurde. Er fürchtete, die Schwarzmarkthändler würden ihn nicht nehmen, aber denen war es egal – solange das Kind gesund war, bekam Nelson seinen Preis. Manche Kids wie der, den er heute gefangen hat, haben einfach nur Pech. Die nimmt er halt so mit. Ein schlechtes Gewissen plagt ihn deswegen nicht.
Was ihn plagt, sind ihre Augen.
Damit hat er die größten Probleme. Wie sie ihn ansehen. Dieser furchtsame, flehende Ausdruck, voller Hoffnung, bis zur letzten Sekunde, als würde er es sich doch noch anders überlegen. Diese Augen quälen ihn in seinen Träumen. Sind nicht die Augen die Fenster zur Seele? Aber in seinen frühen Tagen als Teilepirat konnte er in seinen Augen nichts davon finden, wenn er in den Spiegel blickte. Seinen »Fenstern« fehlte das Gefühl, und je länger er in seine leeren Augen blickte, desto neidischer wurde er. Er wollte etwas von dieser Unschuld haben, wollte auch diese verzweifelte Hoffnung spüren. Deshalb wandte er sich eines Tages an seinen Kontaktmann auf dem Schwarzmarkt und beanspruchte die Augen seines letzten EAs als Teil der Bezahlung. Er konnte nur eins heraushandeln, aber das war besser als nichts. Nach der ersten Operation glaubte er, wenn er in den Spiegel sah, in diesem Auge einen Funken Menschlichkeit zu erkennen, und eine Zeit lang hatte er große Hoffnungen. Das Auge erinnerte ihn an den idealistischen jungen Mann, der er einst, viele Jahre zuvor, gewesen war. Doch er hatte ein neues Problem: Er besaß nun ein blaues und ein braunes Auge. So ging das nicht.
Daher sicherte er sich noch ein Auge, das aber nicht so richtig zum ersten passte. Dann besorgte er sich noch eins und noch eins, und mit jeder Operation spürte er, wie ein kleines Stückchen Unschuld zurückkehrte. Eines Tages, das weiß er mit Sicherheit, wird er die perfekten Augen finden, und dann findet er endlich Ruhe. Indem er die Welt mit anderer
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