Vollendet - Der Aufstand (German Edition)
zu klettern. Das Adrenalin, das ihn durchflutet, dämpft den Schmerz, der jedes Mal durch seinen kaputten Knöchel zuckt, wenn er ihn belastet. In kürzester Zeit ist er aus der Grube und landet in den Armen des Fremden, der ihn gerettet hat.
Der Mann lässt ihn zu Boden sinken. »Hier, trink etwas.« Er reicht dem Jungen eine Wasserflasche. Der stürzt das Wasser hinunter, als wäre es das letzte auf der Welt. »Wie lange warst du denn da unten?«
»Fünf Tage.« Beim Schlucken muss er würgen und übergibt sich fast.
Der Mann kniet sich kopfschüttelnd neben ihn. »Flüchtige Wandler bringen sich dauernd in Teufels Küche. Du musst vorsichtiger sein.«
Der Junge schüttelt den Kopf. »Ich bin kein Wandler.«
Der Mann grinst und nickt wissend. »Ja, ja, das sagen sie alle. Keine Sorge. Bei mir ist dein Geheimnis sicher.«
Da spürt der Junge einen Piks.
»Aua!« Er sieht einen Tropfen Blut auf seinem Unterarm, den der Fremde mit einem kleinen Gerät auffängt. »Was machen Sie da?«
Der Mann ignoriert seine Frage und schaut auf das Display. Die Tante des Jungen ist Diabetikerin und überprüft ihren Blutzucker mit so einem ähnlichen Ding. Er fragt sich, was der Mann wohl damit will.
»Hm.« Der Mann hebt eine Augenbraue. »Du hast wohl die Wahrheit gesagt. Deine DNA passt zu keinem der Kids in der EA-Wandler-Datenbank.«
»Oh, verstehe. Sie sind JuPo!«, ruft er erleichtert, weil ein JuPo keine Gefahr für ihn ist. Ein JuPo wird ihn nach Hause bringen zu seinen Eltern, die bestimmt schon ganz krank sind vor Angst.
»Na ja … ich war JuPo«, räumt der Mann ein, »aber das ist lange her.« Er streckt ihm die Hand entgegen. »Ich heiße Nelson. Und du?«
»Bennett, Bennett Garvin.« Erst jetzt, da er genug Wasser getrunken und Gelegenheit gehabt hat, sich zu fassen, schaut er sich Nelson näher an. Der Mann ist unrasiert, die Fingernägel sind dreckig, und auch sonst sieht er ziemlich ungepflegt aus. Aber das Auffälligste an ihm sind seine Augen. Sie sind merkwürdig intensiv und passen überhaupt nicht zu ihm, ja, sie passen nicht mal zueinander. Zwei verschiedene Blautöne. Es ist beunruhigend.
»Könnten Sie wohl meine Eltern anrufen?«, fragt Bennett. »Ihnen sagen, dass Sie mich gefunden haben?«
Das schwache Lächeln ist wie festgeklebt auf Nelsons Gesicht. »Oh, ich glaube nicht, dass das heute noch was wird.«
Bennett sagt nichts. Er versucht, seine Lage zu erfassen – aber da er nichts gegessen hat und das Wasser sich noch längst nicht in seinem Körper verteilt hat, sind seine Gedanken ein wenig träge.
»Du hast mich ja jetzt gesehen, da kann ich dich schlecht gehen lassen.« Nelson packt ihn grob am Arm, stößt ihn prüfend in die Seite, steckt ihm die dreckige Hand in den Mund und begutachtet die Zähne wie bei einem Pferd.
»Abgesehen von dem verletzten Knöchel bist du ein erstklassiges Exemplar. Ein bisschen ausgetrocknet, aber mit ein paar Flaschen Wasser wird das schon wieder. Und den Ernte-Leuten auf dem Schwarzmarkt ist es egal, ob du ein offizieller Wandler bist oder nicht – sie bezahlen mich trotzdem.«
»Nein!« Bennett versucht sich loszureißen, hat aber nicht die Kraft dazu. »Bitte tun Sie mir nicht weh!«
Nelson lacht. »Würde mir im Traum nicht einfallen. Je besser dein Zustand, desto mehr bist du wert.«
»Meine Eltern haben Geld. Sie werden Sie bezahlen.«
»Mit Lösegeld hab ich nichts am Hut«, schnaubt Nelson, »aber ich sag dir was: Ich mag deine Augen, die haben richtig Ausdruck. Und weil ich deine Augen mag, gebe ich dir noch eine Chance.« Er deutet auf den Eingang. »Wenn du es zur Tür schaffst, ehe ich dich betäuben kann, lasse ich dich ziehen. Teufel noch mal, ich geb dir sogar zehn Sekunden Vorsprung.«
Er zieht Bennett auf die Füße. »Auf die Plätze, fertig, los!«
Bennett braucht keine zweite Aufforderung. Er rennt los, quer durch das riesige Lagerhaus, schwindelig, humpelnd und mit schlotternden Knien.
»Eins!«
Sein Knöchel wummert, aber er ignoriert es. Seine Lunge schmerzt, aber das ist ihm egal. Er weiß, es geht um Leben oder Tod. Der Schmerz geht vorbei.
»Zwei!«
Die Farbsplitter knirschen unter seinen Füßen wie Eierschalen.
»Drei!«
Das Wasser gluckert in seinem Bauch, der nun richtig wehtut, aber davon lässt er sich nicht aufhalten.
»Vier!«
Die Tür der Lagerhalle steht sperrangelweit offen. Das einfallende Dämmerlicht blendet ihn wie die hellste Mittagssonne.
»Fünf!«
Noch ein paar Meter, er hat es fast
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