Vollendet - Der Aufstand (German Edition)
Leute Augen sieht, wird Nelson Stück für Stück vollständig.
Der Schwarzmarkthändler trägt einen teuren europäischen Anzug und fährt einen Porsche. Er wirkt eher wie ein Geschäftsmann als wie ein Ganove, der mit Fleisch handelt. Er verheimlicht nicht, dass seine Geschäfte ihn reich gemacht haben, nein, er stellt seinen Reichtum sogar zur Schau. Nelson beneidet ihn um seinen Stil.
Sein Name, Divan, klingt nach einem Modedesigner, und er spricht auch nicht vom Schwarzmarkt, sondern bezeichnet sich als »selbstständigen Lieferanten«. Sein Ernte-Camp im Ausland agiert völlig im Verborgenen. Nicht einmal Nelson weiß, wo es ist, und er bezweifelt, dass es den strengen Regeln amerikanischer Ernte-Camps gerecht würde.
Divan trifft Nelson in Sarnia, einer kanadischen Stadt, die nur durch eine Brücke von Port Huron, Michigan, getrennt ist. Divan darf amerikanischen Boden nicht betreten, denn es liegen mehrere Haftbefehle gegen ihn vor. Die Kanadier, Gott segne sie, sind da viel toleranter.
Divan übernimmt den Jungen mit dem verletzten Knöchel im Hinterzimmer eines Gebrauchtwagenhandels, der ihm als Fassade dient. Als er den Jungen begutachtet und den geschwollenen Knöchel bemerkt, droht er Nelson mit dem Finger – das gehört zu dem Ritual, mit dem er Nelson herunterhandelt. Der Junge, der bei Bewusstsein, aber von einer hohen Dosis Beruhigungsmittel noch groggy ist, murmelt etwas Unverständliches vor sich hin. Während Nelson ihn ignoriert, tätschelt ihm Divan sanft die Wange.
»Du brauchst keine Angst zu haben«, sagt er. »Wir sind keine Barbaren.« Das ist einer der Sätze, die er immer benutzt. Auch wenn diese Aussage keine wirklichen Informationen preisgibt, wirkt sie beruhigend auf den Jungen. Doch das ist wohlkalkuliert, wie alles bei Divan.
Der Junge wird weggebracht, der Preis wird ausgehandelt, und Divan bezahlt Nelson wie immer in bar aus einem dicken Geldbündel. Dann klopft er ihm freundschaftlich auf den Rücken. Nelson erfährt als Teilepirat mehr Respekt, als er es als Beamter der Jugendbehörde von seinen Vorgesetzten je erlebt hat.
»Ich kann mich immer darauf verlassen, dass du mir bringst, was ich brauche. Nicht alle meine Geschäftspartner sind so zuverlässig. Seit die Jugendbehörde eine Belohnung auf EAs aussetzt, kommen bei mir immer weniger rein.«
»Das verdammte U-17«, knurrt Nelson.
»Ja. Hoffen wir, es ist kein Vorzeichen dafür, dass die Gesellschaft zu ihren alten unzivilisierten Gepflogenheiten zurückkehrt.«
»Keine Chance«, sagt Nelson. »Da wollen die Leute nicht mehr hin.«
Er war noch ein Kind, als das Umwandlungsabkommen unterzeichnet wurde und der Krieg zu Ende ging. Doch in seinem Gedächtnis hat sich aus jenen Tagen nicht etwa der Krieg festgesetzt, sondern die Angst vor Streunern. Schon vor dem Krieg wurde nach dem Zusammenbruch des öffentlichen Schulsystems das Land von Teenagern überschwemmt, die keine Arbeit und nichts zu tun hatten. Die Angst vor ihnen schürte mehr als alles andere die Bereitschaft zum Krieg. Die eine Seite behauptete, Schuld an den vielen Streunern sei der Zusammenbruch der Familien und des Wertesystems, während die andere Seite starre und veraltete Überzeugungen verantwortlich machte, die an den Bedürfnissen der modernen Welt vorbeigingen. Beide Seiten hatten recht. Beide Seiten hatten unrecht. Doch das spielte keine Rolle, denn die Menschen wagten sich nachts nicht mehr auf die Straße, weil sie Angst vor ihren eigenen Kindern hatten.
»Die Umwandlung hat nicht nur den Krieg beendet«, erklärt Nelson. »Sie hat auch das Unkraut vernichtet. Hat verhindert, dass die uns alle ersticken. Der Angst vor den EAs haben wir es zu verdanken, dass uns das Geschäft nicht ausgeht.«
»Ich hoffe wirklich, du hast recht.« Divan öffnet den Mund, als wollte er noch etwas hinzufügen, überlegt es sich aber anders.
»Sonst noch was?«
»Nichts, worüber du dir Gedanken machen müsstest. Nur Gerüchte. Wir reden bei deinem nächsten Besuch darüber. Und denk bitte bei Gelegenheit dran, dass ich zu wenig Mädchen bekomme, vor allem rothaarige, und Umbrafarbene beiderlei Geschlechts. Und für ›Glücksmenschen‹ zahle ich natürlich einen besonders guten Preis.«
»Ich merk’s mir.« Nelson überlegt schon, wie er Divans Nachfrage befriedigen kann. Ein Indianerkind hat er noch nie eingefangen, aber eines Tages wird er schon noch auf »Glücksmenschen« stoßen, und dann zieht Nelson endlich auch mal das große Los.
Als er
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