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Vollendet - Der Aufstand (German Edition)

Vollendet - Der Aufstand (German Edition)

Titel: Vollendet - Der Aufstand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Shusterman
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Zumindest jeder, der in diesem Moment zufällig hinaussieht.
    Fast alle sind im Sturmkeller oder auf dem Weg dorthin. Ob der Keller wirklich einem Tornado standhalten könnte, ist allerdings fraglich, denn er ist sehr alt. Lev, der Gewitter schon seit jeher mag und ein Fenster in seinem Zimmer hat, durch das er hinaussehen kann, lässt sich Zeit.
    Er steht da und betrachtet das Wüten der Naturkräfte. Ein Windstoß rüttelt so stark an den alten Fenstern, dass sie zu bersten drohen, und dann folgt ein besonders lang anhaltender Blitz. In seinem Licht sieht Lev jemanden über die Wiese laufen, auf den Wald zu. Es ist nur ein kurzer Augenblick, doch obwohl er das Gesicht nicht gesehen hat, hat er erkannt, wer es ist.

33.
    Miracolina
    Den ersten Schuss hört sie nicht, spürt aber das Pfeilgeschoss auf dem Silbertablett in ihrem Rücken aufschlagen. Es bleibt im Stoff ihres Sweatshirts stecken. Sie weiß nicht, wo genau der Schütze steht, doch er muss irgendwo hinter ihr sein. Sie hatte gehofft, dass die Scharfschützen ihre Position verlassen und Schutz vor dem Gewitter gesucht haben, aber mindestens einer, vielleicht auch mehrere, liegen noch auf der Lauer. Wahrscheinlich wissen sie, dass ein solches Gewitter Jugendlichen, die noch nicht entprogrammiert sind, eine gute Fluchtchance bietet.
    Ein weiteres Geschoss zischt aus einer anderen Richtung nur wenige Zentimeter an ihr vorbei. Also mehr als ein Schütze. Sie zielen auf ihren Körper, weil sie einen Schuss in den Kopf nicht riskieren können. Miracolina verschränkt die Arme vor der Brust, um weniger Zielfläche zu bieten. Ein Pfeilgeschoss trifft eine der kleineren Platten über ihrem Hintern. Fast hätte sie diese Teller weggelassen, weil sie sie beim Rennen behindern. Nun ist sie froh, dass sie sie hat. Das Geschoss fällt zu Boden.
    Sekunden später ist sie im Wald und kämpft sich durch das Astwerk der Bäume. Es würde sie wirklich überraschen, wenn es dort noch Scharfschützen gäbe. Die Schüsse kamen höchstwahrscheinlich vom Haus. Miracolina kann sich nicht vorstellen, dass selbst der pflichtbewussteste Schütze bei einer Tornadowarnung seine Position im Wald halten würde. Sie hat keine Ahnung, wo sie hinrennt, weiß nur, dass sie sich vom Haus entfernt. Irgendwann muss sie an einen Zaun kommen. Hoffentlich ist er nicht zu hoch für sie.
    Stakkatoartig zucken in den Lichtblitzen Bilder der Umgebung vor Miracolina auf. Ihre Kleider sind zerrissen, Gesicht und Arme von den peitschenden Ästen zerkratzt. Sie rutscht im Matsch aus, rappelt sich wieder auf und läuft weiter. Dann, in einem weiteren Lichtblitz, sieht sie vor sich einen Maschendrahtzaun. Er ist etwa zweieinhalb Meter hoch – nicht zu hoch für sie. Allerdings schließt er oben mit Stacheldraht ab. Das wird weitere Kratzer geben, aber damit kommt sie schon klar. Die Verletzungen werden vor ihrer Umwandlung heilen.
    Außer Atem und fast am Ende ihrer Kraft stürzt sie auf den Zaun zu, da wird sie von hinten umgeworfen und auf den nassen Boden gedrückt. Sie erhascht nur einen kurzen Blick auf das Gesicht des Angreifers, aber der reicht aus: Das goldene Kind höchstpersönlich ist gekommen, sie einzufangen.
    »Geh runter von mir!«, schreit sie und versucht Lev wegzustoßen. Sie zieht eine Silberplatte unter dem Shirt hervor und schlägt sie ihm mit einem metallischen Geräusch über den Schädel. Er fällt um, ist aber sofort wieder über ihr.
    »Ich schwöre, ich schlage dir den Kopf ein, wenn es sein muss!«, kreischt sie. »Lass mich los. Es ist mir egal, ob du hier der Schutzheilige bist. Ich hau ab und du kannst mich nicht aufhalten!«
    Da richtet sich Lev auf und sagt keuchend: »Nimm mich mit.«
    Das hat sie nicht erwartet.
    »Was?«
    »Ich kann hier nicht mehr mitmachen. Ich bin einfach nicht so, wie die es von mir erwarten. Ein Schutzheiliger bin ich nicht und die Zehntopfer können sie genauso gut ohne mich retten. Ich hau auch ab.«
    Miracolina hat keine Zeit zu überlegen, ob das ein Trick ist. Sie hat nicht einmal die Zeit zu verarbeiten, was er da gesagt hat. Aber immerhin kann sie seine Entschlossenheit testen.
    »Dann hilf mir über den Zaun.«
    Er tut es, ohne zu zögern. Er hilft ihr hoch, und obwohl sie sich am Stacheldraht verletzt, als sie auf der anderen Seite hinunterspringt, hat sie es geschafft! Dann klettert Lev, den sie bis dahin für ihren Gefängniswärter gehalten hat, ihr nach.
    »Da vorn ist eine Straße«, sagt er, »vielleicht hundert Meter durch den Wald.

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