Vollendet - Der Aufstand (German Edition)
Wir können trampen.«
»Wer ist in so einer Nacht schon mit dem Auto unterwegs?«
»Es gibt immer jemanden, der verzweifelt irgendwo hinwill.«
Als sie die Straße erreichen, hat der Sturm ein wenig nachgelassen, aber bei einem Tornado kann das sowohl ein gutes als auch ein schlechtes Zeichen sein. Es hat noch nicht gehagelt; Hagel wäre ein sicheres Zeichen dafür, dass es noch schlimmer kommt.
Tatsächlich ist auf der zweispurigen Straße Verkehr, nicht viel, vielleicht ein Auto alle ein oder zwei Minuten, aber sie brauchen ja auch nur eins, das hält.
»Wenn uns jemand mitnimmt, versprich mir, dass du nichts von Haus Cavenaugh und dem, was wir da machen, sagst«, bittet Lev Miracolina.
»Ich verspreche gar nichts«, erwidert Miracolina.
»Bitte«, fleht Lev sie an. »Die anderen sind nicht wie du. Die wollen nicht geopfert werden. Verdamm sie nicht zu etwas, das sie sich nicht ausgesucht haben.«
Obwohl es ihren Überzeugungen widerspricht, ist die Grenze zwischen Richtig und Falsch im Moment so verschwommen, dass sie einlenkt. »Gut. Ich sage nichts.«
»Wir erfinden eine Geschichte«, sagt Lev. »Wir waren mit dem Fahrrad unterwegs und sind vom Sturm überrascht worden. Bestätige einfach, was ich sage. Wenn wir dann aussteigen und du dich immer noch opfern willst, kannst du dich ja ausliefern. Ich halte dich nicht auf.«
Obwohl sie bezweifelt, dass er es ihr so einfach machen wird, ist sie einverstanden.
»Was ist mit dir? Wo gehst du hin?«
»Ich habe keine Ahnung.« Das Funkeln in seinen Augen lässt sie jedoch vermuten, dass er genau weiß, wo er hinwill.
Als sich zwei Scheinwerfer nähern, frischt der Wind gerade wieder auf. Sie wedeln mit den Armen und das Fahrzeug, ein Kastenwagen, hält am Straßenrand. Ein Fenster wird heruntergelassen. Die beiden rennen zum Auto hin.
»Mein Gott, was macht ihr denn hier draußen bei dem Sturm?«, fragt der Fahrer.
»Wir waren mit dem Fahrrad unterwegs. Wir wussten nicht, dass ein Sturm aufkommt«, sagt Lev.
»Und wo sind eure Fahrräder?«
»Wir haben sie liegen lassen«, schaltet sich Miracolina ein.
»Wir holen sie später wieder ab«, sagt Lev. »Es gibt eine Tornadowarnung – wir müssen weg hier. Können Sie uns helfen?«
»Natürlich.« Er öffnet die Schlösser und Lev zieht die Seitentür auf. In diesem Moment geht das Innenlicht an und erhellt das Gesicht des Mannes zum ersten Mal. Obwohl Miracolina froh ist, in diesem Sturm so etwas wie einen sicheren Hafen gefunden zu haben, macht ihr dieses Gesicht unwillkürlich Angst. Es hat etwas Seltsames an sich. Vielleicht liegt es auch nur an seinen Augen.
34.
Lev
Lev achtet nicht weiter auf den Fahrer. Er ist nur froh, dass er dem Unwetter entkommen ist und ein Transportmittel gefunden hat, das ihn weit wegbringt von seinem goldenen Käfig. Miracolina hat er angelogen. Er will nicht einfach tatenlos zusehen, wie sie sich der Jugendbehörde stellt, sondern zumindest versuchen, es zu verhindern.
Ein Windstoß bläst den Kastenwagen fast von der Straße, und der Fahrer hat beide Hände voll zu tun, das Lenkrad gerade zu halten. »Ganz schönes Unwetter, was?« Der Mann sieht Lev durch den Rückspiegel an. Lev weicht seinem Blick aus. Das Letzte, was er brauchen kann, ist, dass jemand den »kleinen Klatscher« erkennt.
»Bequem da hinten?« Der Mann hat nicht mal gefragt, wo sie hinwollen. Lev geht innerlich die Städte durch, die er in der Gegend kennt, damit er eine Antwort parat hat.
Der Regen klatscht so heftig gegen die Windschutzscheibe, dass die Scheibenwischer keine Chance haben. Der Mann hält an und dreht sich zu ihnen um.
»Tornadowarnung, sagt ihr? Glaubt ihr, wir werden nach Oz getragen?« Für die Umstände ist er zu gut gelaunt.
»Je früher wir alle nach Hause kommen, desto besser«, meint Miracolina.
»Ja, aber ihr seid nicht auf dem Weg nach Hause.« Der Fahrer hat immer noch diesen fröhlichen Ton in der Stimme. »Das wissen wir doch alle, oder?«
Miracolina sieht Lev besorgt an. Der Mann hat seinen Blick auf ihn geheftet, und erst jetzt fällt Lev auf, dass seine Augen nicht richtig zusammenpassen. Bei dem Anblick erfasst ihn eine Kälte, die mit dem Unwetter nichts zu tun hat.
»Ich weiß, du erinnerst dich nicht an mich, Mr Calder. Bei unserer letzten Begegnung warst du ja bewusstlos. Aber ich erinnere mich gut an dich.«
Lev will die Tür aufstoßen, doch sie ist abgeschlossen.
»Lev!«, schreit Miracolina. Da sieht auch er, dass der Mann eine Betäubungswaffe
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