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Vollidiot

Vollidiot

Titel: Vollidiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tommy Jaud
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rausgeschmuggelt habe. Durch das leicht angelaufene Kneipenfenster sehe ich, wie Flik gedankenverloren in die Menge starrt. Ich gehe am Fenster vorbei, um mir eine Kippe anzuzünden. Ein mit vier oder fünf aufgestylten Prolls voll gepackter Golf hält mit offenen Fenstern quietschend vor einer roten Ampel. Aus dem Inneren dröhnt tumbe Bekloppten-Housemucke. Eine blonde Göre auf dem Rücksitz grölt »Fiiiiicken!« und streckt mir die Zunge raus. Mein Mittelfinger antwortet für mich. Dann rufen alle »Dumme Sau!« und »Arschloch!«, und der Wagen braust mit quietschenden Reifen davon. Ich trete gegen einen Abfalleimer und gehe weiter.
    Ich will zu Marcia.
    Jetzt!
    Ich stelle mein leeres Pintglas auf einem Stromkasten ab und gehe weiter in Richtung Starbucks. Ich laufe wie ein angetrunkener Robocop, ferngesteuert und fest entschlossen, irgendwas gegen das Böse in dieser Welt zu unternehmen. Nur was? Millionen Gedanken blitzen durch meinen Kopf. Ich frage mich, was ich eigentlich machen will, wenn ich vor Marcia im Laden stehe. Irgendwie muss ich ja ihre Aufmerksamkeit erregen. Ich könnte Anlauf nehmen und mit voller Wucht gegen die Frontscheibe rennen. Die Frage ist nur, ob ich danach noch mit ihr sprechen könnte. Also nein. Ich könnte hineingehen und eintausend Grande Latte Macchiato bestellen. Dann müsste sie bis morgen früh bleiben, und ich könnte ihr die ganze Nacht beim Milchaufschäumen zusehen. Mit dem ganzen Kaffee wäre das natürlich auch kein großes Problem, wach zu bleiben. Eine Straßenbahn rauscht nur einen knappen Meter an mir vorbei. Das wär's gewesen. Glück gehabt. Marcias Starbucks ist noch exakt eine Straßenecke entfernt.
    Und jetzt? Denk nach, Simon. Die Sache ist womöglich einfacher, als du denkst! Was will ich denn? Ganz einfach: Ich will Marcia. Also muss ich sie ansprechen. Und zwar jetzt. Nicht morgen. Und nicht übermorgen. So einfach ist das. Ich beschließe, bis zehn zu zählen, um dann festen Schrittes und mit dem charismatischen Lächeln eines Ge-winners den Laden zu betreten. Dann werde ich sie fragen, was sie nach Feierabend macht. Das machen täglich Tausende von Männern. Und nicht wenige von ihnen kommen Sekunden später mit ihrer zukünftigen Frau aus Cafés, Supermärkten und Bowlingcentern. Gut, danach gibt es dann oft noch ein paar Probleme wie Schießereien, Erpressung und Untreue, aber am Ende ist immer alles gut. Ich hab schließlich genug von diesen Filmen gesehen.
    Noch zehn Sekunden, dann gehe ich rein und sprech sie an!
    Ich atme tief durch und zähle bis zehn. Dann wiederhole ich das Ganze auf Spanisch und Englisch. Es ist sehr praktisch, Fremdsprachen immer wieder in den Alltag einfließen zu lassen. So kann man, ohne Zeit zu verlieren, gelernte Strukturen wiederholen und einschleifen. Beim italienischen Zählen hilft mir die Nähe zu Latein, ich komme dennoch nur bis fünf. Ich zünde mir eine Zigarette an und merke, dass ich zittere. Und ich muss mir eingestehen, dass ich das nicht schaffen werde mit dem Ansprechen. Vorbeigehen wäre natürlich auch eine Option. Sehr gut. Ich werde einfach nur vorbeigehen, und mit ein bisschen Glück werde ich ein süßes Lächeln stibitzen. Ein Lächeln, das ich mir in meinen Mantel stecke und neben mein Bett stelle, damit ich friedlich schlafen kann.
    Und wenn ich nicht nur das Lächeln mitnähme, sondern ein bisschen mehr? Vielleicht sogar alles? Dazu müsste ich natürlich doch rein, rein in das Café, in die Höhle der Löwin, müsste mich zusammenreißen und eintausend Latte bestellen. Ich könnte auch eine Million Latte bestellen, dann wären wir bis an unser Lebensende zusammen, Marcia und ich, im Starbucks zwar, aber immerhin. Ich säße da und würde sie ansehen, und sie würde Milch aufschäumen, bis ins hohe Alter. Wir würden alt werden zusammen, und vielleicht könnten wir auch Kinder haben. Ich hab im Café eine Tür zu einem Nebenraum gesehen, in dem könnten wir uns lieben, und dann irgendwann wären wir zu dritt, und wenn mein Sohn – es wird bestimmt ein Sohn –, wenn also mein Sohn alt genug geworden ist, dann könnte er seiner Mutter beim Milchaufschäumen helfen. Als ich gerade ausrechne, dass mein kleiner Latte-Traum über drei Millionen Euro kostet, klingelt mein Handy. Es ist Paula. Sie hat sich Sorgen ge-macht wegen meines Hilferufs auf ihrer Mailbox. Und sie bemerkt sofort, dass ich mehr als nur ein Pint getrunken habe. Und weil ich mehr als ein Pint getrunken habe, erzähle ich ihr, dass

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