Vollmondfieber: Roman (German Edition)
aber wie du sehr gut weißt, ist das eine der Bedingungen dafür, dass du allein lebst.
Es tut mir so leid, Dad.
Das hätte nicht passieren dürfen. Meine Markergene waren nicht dafür codiert. Es war schlicht eine Unmöglichkeit. In einer Welt voller Unmöglichkeiten.
Ich war ja so dumm gewesen!
Mein Körper krampfte immer noch, meine Muskeln zuckten unentwegt. Ich war gefangen in einem Tanz, aus dem ich mich nicht befreien konnte. Der Schmerz loderte auf und erreichte schließlich seinen zerstörerischen Höhepunkt. Als er die Leiter hoch und höher bis zur höchsten Note hinaufstieg, sie erreichte, zersplitterte mein Bewusstsein wie Glas.
Alles wurde segensreich schwarz.
Viel zu schnell jedoch tanzten stecknadelkopfgroße Lichtpunkte hinter meinen Augenlidern. Ich schlug die Augen auf. Der Schmerz war fort. Nur ein Widerhall davon, ein leises Pochen wie ein steter Strom, war zurückgeblieben. Ich brauchte einen Moment, bis ich es begriff: Ich kauerte auf dem Boden neben meinem Bett auf allen vieren, Knie und Handflächen blutig von den Scherben meiner zerbrochenen Lampe. Mein Nachttischchen lag zertrümmert um mich herum. Es sah aus, als hätte ein Hurrikan in meinem Schlafzimmer gewütet. Ich hatte keine Zeit mehr zu verlieren.
Die Medizin ist jetzt deine einzige Chance! Los doch!
Das Badezimmer war gerade einmal eineinhalb Meter entfernt. Ich zwang mich voran, zog mich mit zittrigen Armen vorwärts und schleifte meinen nutzlosen Körper hinter mir her.
Komm schon, du schaffst das! Es ist gleich da vorn.
Ich kam nicht weit. Wieder schlug der Schmerz zu, hart und heftig. Ich fiel auf die Seite, und die Muskeln unter meiner Haut gerieten heftig in Aufruhr. Himmelherrgott! Der Schmerz, böse und unerbittlich, kam direkt aus einem Märchen, einem sehr bösen, niederträchtigen Märchen.
Ich stöhnte, bebte vor Schmerz, schrie in meinem Kopf auf und suchte nach dem Einzigen, was mir nun noch helfen konnte. Mein Bruder war meine einzige Chance. Tyler, es passiert! Ty, Ty … Bitte! Tyler, kannst du mich hören? TYYY …
Eine neuerliche Wolke aus Dunkelheit zupfte am Rand meines Bewusstseins, und ich hieß sie willkommen. Mir war alles recht, wenn nur diese schrecklichen Qualen aufhörten! Ehe Schmerz mich überwältigte auf diesem schmalen Grat zwischen wirklich und unwirklich streifte etwas ganz zart meine Sinne. Ein Schauder der Erkenntnis erfasste mich. Aber da stimmte etwas nicht. Das war nicht die Stimme meines Bruders.
Dad?
Nichts als Leere erfüllte meinen Geist. In Gedanken beschimpfte ich mich: Du hoffst doch nur auf ein Wunder.
Frauen waren nicht dazu geschaffen, sich zu wandeln. Das hatte ich mein Leben lang gehört. Wie könnten sie sich denn auch wandeln, wenn es sie gar nicht geben sollte? Ich war ein Fehler, ich war immer schon ein Fehler gewesen, und es gab nichts, was mein Vater tun könnte, um mir jetzt noch zu helfen.
Schmerz schwappte hoch, explodierte in meinem Kopf, und sein Zorn riss mich erneut in Stücke.
Jessica. Jessica, kannst du mich hören? Wir sind unterwegs. Bleib bei uns! Nur noch ein paar Minuten! Jessica … Halt durch, Liebling. Jess!
Ich kann nicht, Dad. Ich kann einfach nicht.
Blut.
Furcht durchbohrte mich wie ein eisiger Speer. Ich reckte die Nase empor und kostete die Luft. Kälte strich über meinen Rücken, ließ mir die Haare zu Berge stehen und jagte mir eine Gänsehaut über den Leib. Ich zitterte. Schwerer Atem rauschte viel zu laut in meinen empfindlichen Ohren. Ich lugte in die Finsternis, inhalierte wieder tief die köstliche Luft.
Blut.
Geräusche brodelten unter mir empor, polternde Geräusche. Ich wich in die Ecke zurück und wimmerte. Das Pochen in meiner Brust, laut wie Donnerschlag, umgab mich, hüllte mich ein in meine eigene Furcht.
Raus.
Ich tat einen Satz voran. Ich sah meine Klauen über den Boden schlittern, glitt aus, die Oberfläche war viel zu glatt, um Halt zu finden. Ich raffte mich wieder auf und sprang durch einen dunklen Tunnel in einen größeren Raum. Überall um mich herum zerbrachen und zerbarsten ohrenbetäubend laut Dinge und machten mir Angst. Ich sprang auf etwas Großes, und meine Klauen schlitzten sich mühelos hindurch. Ich segelte davon und landete Zentimeter von einem Lichtfleck entfernt.
Raus.
Meine Ohren kribbelten. Ich senkte die Nase auf den Boden, inhalierte, als die Laute auf mich einstürmten. Bilder schoben sich in mein Bewusstsein. Menschen, Furcht, Lärm … Qual. Tief aus meiner Kehle kaum ein
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