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Vollmondkuss

Titel: Vollmondkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schroeder
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Hosentasche.
    »Fühlen Sie sich bedroht?«, entfuhr es Jolin unwillkürlich.
    »Bedroht?« Harro Greims schüttelte den Kopf. »Nein, wie kommst du darauf?«
    »Aber das war doch ein Messer.« Jolin deutete auf seine Hose. »Das, was Sie da gerade weggesteckt haben.«
    »Das war etwas anderes.« Harro Greims kniff die Augen zusammen. »Kein Messer.« Er musterte Jolin feindselig. »Was machst du hier?«, fragte er harsch. »Hab ich dir nicht deutlich genug gesagt, dass du nie wieder hierher kommen sollst?«
    »Doch«, sagte Jolin. Seine abweisende Reaktion tat ihr fast körperlich weh, trotzdem versuchte sie ihm geradewegs in die Augen zu sehen. »Doch, aber es ist etwas passiert.«
    Harro Greims schwieg. »Hast du das in der Tüte da?«, fragte er schließlich. »Das, was passiert ist.«
    »Nein. Ja ...« Jolin stockte. »Können wir nicht hinein gehen? Ich ... Mir ist kalt.«
    »Glaubst du, da drin ist es wärmer?« Harro Greims lachte. Kurz und leise. Dann wedelte er ungeduldig mit der Hand. »Erst will ich sehen, was da drin ist.«
    Jolin machte einen Schritt auf ihn zu und streckte ihm die Tüte entgegen. Harro Greims nahm sie zögernd und so vorsichtig, als ob er etwas Hochexplosives erwartete. Er hielt sie auf, warf einen schnellen Blick hinein und gab sie Jolin zurück. »Du solltest sie begraben. Damit nimmst du ihr die Kälte.«
    Jolin nickte. »Das wollte ich auch. Aber ich weiß nicht, wo.«
    »Weit genug weg von hier«, erwiderte der alte Mann. »Und auch nicht in deiner Nähe.«
    »Wie weit?«, fragte Jolin.
    »Das weiß ich auch nicht«, entgegnete Harro Greims ungeduldig.
    »Aber Sie kennen sich doch aus mit Fledermäusen.«
    »Das ist keine gewöhnliche Fledermaus«, sagte Harro Greims. »Und das weißt du auch. Sonst wärst du wohl kaum hierhergekommen. Mitten in der Nacht, nach so vielen Jahren.«
    Jolin starrte auf seine Füße und schwieg.
    »Wo hast du sie überhaupt gefunden?«, fragte der Alte.
    »Sie war in meinem Zimmer«, sagte Jolin. Ihre Stimme klang rau und zittrig. »Meine Mutter hat sie ... Sie hat sie getötet. Aus Versehen natürlich. Sie wollte es nicht. Sie hat bloß den Vorhang aufgezogen und sich erschreckt.«
    »Sei still«, sagte Harro Greims leise. »Sie hat sie nicht getötet. Dieses Tier ist ganz von selbst gestorben. Wahrscheinlich hat es ...«
    »Was?«, hauchte Jolin. Wenn sie ihr Herz nicht so sehr pochen gefühlt hätte, wenn der Pulsschlag an der Außenseite ihres Halses nicht so deutlich gewesen wäre, hätte sie gedacht, sie würde träumen, so unwirklich war die Situation hier draußen zwischen den dunklen Containerkästen in der Kälte und der Dunkelheit des frühen Morgens. »Was meinen Sie damit?«
    »Das Licht«, sagte Harro Greims nur. »Es muss das Tageslicht gewesen sein.«
    »Das Tageslicht?«, wiederholte Jolin panisch. Das, was sie tief in ihrem Innern bereits geahnt hatte, umklammerte nun wie ein lähmender Schmerz ihre Brust. »Das kann nicht sein.«
    Harro Greims sah sie schweigend an. Schließlich legte er seine Hand sanft auf Jolins Schulter. »Ich fürchte, es ist so«, sagte er leise. Und plötzlich war sie wieder da, die Wehmut, die Traurigkeit und die Verzweiflung, die sich schon früher über seine Gesichtszüge gelegt hatten, wenn er von seiner großen Liebe sprach. »Es tut mir sehr leid, meine Kleine. Ich hab das alles nicht gewollt.« Er zog seine Hand zurück und wandte sich der Tür seines Wohn-Containers zu.
    »Aber Sie können doch jetzt nicht einfach so Weggehen!«, stieß Jolin hervor. Fast hätte sie geschrien, erst in letzter Sekunde wurde ihr bewusst, dass sie damit die Bewohner der anderen Container geweckt hätte. »Sie dürfen mich doch jetzt nicht mit allem allein lassen.« Jolin krallte sich in der speckigen Lammfelljacke des alten Mannes fest. »Haben Sie denn schon vergessen, wer ich bin? Wie es damals gewesen ist?«
    »Nein, das habe ich nicht. Aber damals warst du noch ein Kind. Jetzt bist du fast erwachsen und für dich selbst verantwortlich«, erwiderte Harro Greims kühl.
    »Und warum haben Sie mir dann damals das Bild geschenkt?«, fragte Jolin.
    »Weil es sein musste«, war die knappe Antwort, doch Jolin wollte sich damit nicht zufriedengeben. »Warum?«, fragte sie und zerrte flehend an der Jacke des Alten.
    »Mehr kann ich dir dazu nicht sagen.«
    »Dann verraten Sie mir wenigstens, wer Rouben ist«, brach es aus ihr hervor.
    Harro Greims schüttelte den Kopf, ohne sich umzuwenden, ohne Jolin auch nur ein einziges

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