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Vollmondkuss

Titel: Vollmondkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schroeder
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ihrem Zimmer gestorben? Und was zur Hölle hatte das alles mit ihr zu tun?
    Jolins Knie fingen an zu zittern. Sie versuchte, diese verrückten und quälenden Fragen aus ihrem Kopf zu verbannen, was ihr allerdings nicht gelang. Beruhig dich, beruhig dich doch, ermahnte sie sich selbst. Nur wenn du ruhig bist, kannst du nachdenken und Antworten finden. Wozu hatte sie denn ihren kühlen, stets so klaren Verstand, der bisher immer dafür gesorgt hatte, dass sie nicht die Kontrolle verlor? Genau das aber war nun geschehen. Jolin wurde übel bei dem Gedanken daran, welche Wut und Kopflosigkeit sie dazu verleitet hatte, die Fledermaus auf Harro Greims Grundstück zu vergraben. Dabei hatte er sie ausdrücklich darum gebeten, genau dieses nicht zu tun. Nicht in seiner und nicht in ihrer Nähe. Und jetzt? Jetzt hatte sie ihren alten Freund womöglich in große Gefahr gebracht. Und nur, weil sie wütend auf ihn gewesen war! Verdammt nochmal, was war nur mit ihr los? Hatte sie denn der Teufel geritten?
    Eine jähe Kälte durchzuckte Jolins Brust. Etwas Eigenartiges, Fremdes hatte ihr Herz besetzt und die Klarheit aus ihrem Kopf verbannt. Dunkle, ihr bisher unbekannte Gefühle hatten sich ihren Weg durch ihre Sinne gebahnt und die Kontrolle übernommen. Die Kontrolle über das, was sie fühlte, dachte und tat.
    Das durfte sie nicht zulassen. Jolin musste etwas dagegen tun. Sie brauchte dieses Buch zurück. Victor würde, musste ihr die Antworten geben, die Harro Reims ihr verweigert hatte. Das war in diesem Moment ihre einzige verzweifelte Hoffnung.
     
    Es war zehn vor neun, als Jolin das Mühlengässchen betrat. Sie würde die erste Stunde vom Biokurs verpassen, aber das war ihr nun egal. Mit schnellen Schritten lief sie an den Läden vorbei, atmete den warmen Brötchengeruch, der vor dem Bäcker in der Luft stand, ein und sprang die drei Stufen vor der Tür des Antiquariats hinauf. Die Glöckchen bimmelten, und Ansgar Lechtewink stand wie gewohnt hinter dem Tresen. Seine Bewegungen wirkten ein wenig fahriger als sonst, eine Sekunde lang hatte Jolin sogar den Eindruck, als ob seine Augen und seine Hände völlig unabhängig voneinander agierten, dann richtete sich sein Blick auf sie.
    »Guten Tag«, sagte Jolin hastig. »Dieses Buch, das schwarze ... Sie wissen schon ... Ist es noch da? Ich hätte es gerne zurück.«
    »Sie haben es sich also anders überlegt?«, erwiderte Ansgar Lechtewink. Seine Stimme klang monoton, nahezu leer.
    »Ja, also ... Wenn es noch da ist, bitte.«
    Der Besitzer des Antiquariats nickte. »Dort in der zweiten Reihe müsste es sein. Soweit ich mich erinnere, hat sich niemand mehr dafür interessiert.« Langsam und mit steifen Bewegungen kam er hinter dem Tresen hervor. Jolin ging ihm entgegen. Sie blickte auf seine knochige Hand, die über die Buchrücken glitt und schließlich das Buch mit dem schwarzen, samtigen Einband herauszog. »Sehen Sie, da ist es ja schon.« Er hielt es ihr entgegen,und Jolin bemerkte die kleinen runden Wundkrusten auf seinem Handrücken unter einem feinen hellen Haarflaum genau über der hervorstehenden A der. Sie waren fast gleich groß und lagen ungefähr so weit auseinander wie die Eckzähne einer Raubkatze.
    Ein Biss, dachte Jolin. - Aber nein! Das war nicht möglich. Vampire schlugen ihre Zähne in Halsschlagadern, in Arterien. Sie tranken kein dunkles, verbrauchtes Venenblut.
    »Es war dieser Köter«, hörte sie Ansgar Lechtewink sagen. »Alles halb so wild.«
    Dieser Köter? Verwirrt folgte Jolin Ansgar Lechtewink zur Registrierkasse. Inzwischen war draußen der Himmel aufgerissen, und die Sonne reckte ihre Strahlen bis zum Tresen. In ihrem Licht sahen die abgegriffenen Kanten der alten Bucheinbände plötzlich richtig schäbig aus. Hunderttausende winzig feiner Staubkörnchen tanzten durch die Luft, und die Haut des Buchhändlers war mit einem Mal so aschfahl, dass Jolin ihn einen Augenblick lang fast für tot gehalten hätte. Als das Sonnenlicht auf seine Hosenbeine fiel, stoppte der Buchhändler, hielt einen kurzen Moment inne, dann wandte er sich um und wählte einen längeren, aber schattigen Weg bis zur Kasse. Jolin blieb, wo sie war. »Ist es Ihr Hund gewesen?«, fragte sie tonlos.
    Ansgar Lechtewink machte eine abwehrende Handbewegung. »Nein. Mir kommt so ein Tier nicht ins Haus.« Er tippte einen Betrag in die Kasse ein, und die Schublade sprang auf. »Das macht sechs Euro.« Er streckte den Arm über den Tresen und hielt Jolin das Buch entgegen.
    »Sechs

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