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Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)

Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)

Titel: Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liv Winterberg
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stürzen, die Schiffe erschlagen.
    Und nun ist Kap Hoorn ein Hügel.
    Rund, fast lieblich, von dunklen, leicht gekräuselten Wellen umspielt.
    Ich bin bei dir angekommen und kann dir endlich Lebewohl sagen.

Pazifischer Ozean, 2.   Februar 1786
     
    Das Wetter hatte sich gebessert. Carl steuerte auf den Niedergang zu und sah sich zufrieden um. Die Anzahl der Patienten hatte sich deutlich verringert. Die sonnenverbrannten Wangen und die leuchtenden Augen der Männer, die von ihren Wachschichten zurückkehrten, hatten Wunder bewirkt. Was keine Pille und keine Tinktur erreicht hatte, hatte die Hoffnung übernommen. Der Gedanke, blauen Himmel sehen und die Wärme der Sonne spüren zu können, hatte die Kranken auf die Beine gebracht.
    Selbst Nat hatte, auch wenn er nicht arbeitsfähig war, inzwischen wieder das Deck betreten. Er sprach kaum und duldete ausschließlich Seths Nähe. Der kleine Bruder war es, der ihn zum Essen holte, der darauf achtete, dass er die Nachtruhe einhielt, der ihm morgens das Haar kämmte und seine Hängematte verstaute.
    Carl fröstelte. Die Luke stand zum Lüften des Decks offen. Sonnenlicht fiel herein. Kurz blieb er stehen und genoss die Wärme.
    Vögel
, dachte er, als er das Deck betrat und sein Blick über den Himmel fuhr.
Und was für welche.
Er beugte sich vor und kniff die Augen zusammen. Er erkannte einen Albatros. Ein zweiter Albatros folgte. Dann der dritte. Vorboten des Schwarmes, der kurz darauf das Schiff umkreiste. Beeindruckt hielten die Männer mit der Arbeit inne, denn einige der Vögel hatten eine Flügelspannweite von bis zu zehn Fuß.
    »Schnell«, rief Carl einem Matrosen zu. »Lasst die Jolle zuWasser. Ich hole mein Jagdgewehr. Heute gibt es wieder mal einen deftigen Braten.«
    Lukas griff nach seiner Muskete und legte sie an.
    »Schieß sie nicht, Junge«, rief Segelmacher-John. »Das sind heilige Vögel.«
    Carl blieb stehen. »Warum sollen wir das nicht tun? Das sind großgewachsene Vögel mit viel Fleisch.«
    »Sie verkörpern den Geist der toten Kameraden.«
    Kapitän Taylor und Astronom Peacock, die dabei waren, die Küste einer Insel zu bestimmen, schauten herüber.
    »Das ist ein Einwand, den ich berücksichtigen werde«, sagte Carl. »Seesoldat, unterlasst die Schießerei.«
    Lukas zögerte. Dicht vor ihm zog ein Albatros seine Kreise.
    Für einen Augenblick wurde es still an Bord. Alle Augen richteten sich auf Carl, der neben Segelmacher-Johns Bank stand.
    »Darf ich?«, fragte Carl und griff sich Lukas’ Muskete. »Gut«, er wandte sich Segelmacher-John zu, »ich halte das für Aberglauben. Aber Ihr wisst Dinge, von denen ich nichts verstehe. Vielleicht versteht Ihr auch von Albatrossen mehr. Und da es hier mehr als genug andere Vogelarten gibt, werde ich der Mannschaft jetzt ein Abendessen schießen, das ohne einen Albatros auskommt.«
    Segelmacher-Johns Ohren wurden rot, konzentriert zog er an einem Faden, der sich im Stoff verknotet hatte.
    Carl winkte Mary zu sich. Gemeinsam mit Lukas kletterten sie in das Beiboot.
    Bevor Lukas auch nur ein Ruder gezogen hatte, legte Carl, die Schwankungen des kleinen Beibootes ausbalancierend, die Muskete an. Er zielte, spürte den Rückstoß und sah den ersten Vogel aufs Wasser fallen. Beifall brandete an Bord auf. Sofort lud er nach.
    Mit kräftigen Schlägen ruderte Lukas los, und kurz darauf beugte Mary sich vor, um ein wildes Perlhuhn aus dem Wasser zu ziehen.
    Erneut setzte Carl an. Der zweite Treffer. Aufladen.
Weißes
Fleisch, knusprig gebraten, mild gewürzt.
Sein Magen knurrte. Erneut donnerte ein Schuss. Wieder klatschte ein Vogel auf die Wasseroberfläche. Carl hörte die Mannschaft jubeln. Er schaute zum Schiff hinüber. Aufgereiht standen die Männer nebeneinander. Bartholomäus war an Deck, blass und ernst. Das Weiß der Bandage des abgebundenen Stumpfes leuchtete im Licht. Selbst Seth konnte er erkennen. Das helle Haar, der schmale Kopf, der gerade einmal auf Brusthöhe der Männer reichte, sprang ins Auge. Doch den zweiten blonden Schopf konnte er nicht entdecken.
Nat, vielleicht tröstet dich wenigstens der Gedanke, dass die Albatrosse weiterleben und die Seele deines Vaters holen können
, dachte er, hob an und schoss.

Pazifischer Ozean, 1.   März 1786
     
    Erschrocken fuhr Seth auf. Sein Herz schlug laut in die Stille hinein. Er schaute sich um, doch die Männer um ihn herum schliefen. Bartholomäus, der neben ihm lag, hatte den Mund geöffnet und atmete flatternd ein und aus. Seth ließ sich in

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