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Vom Aussteigen und Ankommen

Titel: Vom Aussteigen und Ankommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Grossarth
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ein, da die Ziegen zu wenig Kügelchen hinterließen. Mist war für den Hof ein wertvolles Gut, Selbstversorger lernen schnell, in Energiekreisläufen zu denken. Heike war eine friedliche Punkerin, und Reiner sah aus wie ein lustiger Onkel aus der Kinderstunde, doch er konnte zornige Reden halten. Im Garten wirkte Heike besonders ausgeglichen. Wir rupften eine Stunde Unkräuter, und Heike erzählte weiter von den unkonventionellen Methoden ihrer Landwirtschaft: Sie bearbeitete die Felder nach dem System der Vier-Felder-Wirtschaft, ließ also Beete immer auch brachliegen, sodass sich die Böden erholen konnten. Stark-, Mittel- und Schwachzehrer werden dabei in dieser Reihenfolge gesät, und im vierten Jahr liegt das Feld brach. Die Sortenvielfalt an Gemüse und Obst war verblüffend und überstieg das Angebot auf einem Wochenmarkt bei weitem: Im Tomatengewächshaus oder draußen würden im Sommer sechzehn Sorten reifen, schon jetzt keimten die Pflanzen, sie hießen Lemon Tree, die rot-grün gestreifte Tigerella (»Eine typische Selbstversorgertomate«, sagte Heike), Stripe Roman oder die schwarze Eiertomate Black Plum.
    In den Beeten wuchsen zahlreiche Kartoffelsorten, neben Linda und anderen Allerweltssorten auch Färbekartoffeln, mit deren Schalen sich Stoffe lila kolorieren ließen. (Zudem färbte Heike mit der Krappwurzel rot, mit der Färberkamille gelb und mit Färberwait blau, Letzteres aber selten und ungern, da Maden und Urin zur Rezeptur gehören, weshalb aus Worms überliefert sei, dass dort noch um das Jahr 1900 große Wagen den Urin der jungen Männer gesammelt hätten.)
    Eine weitere hier wachsende Feldfrucht war die exotische Yacon-Knolle. Ich biss in eine, die noch vom vergangenen Herbst übrig war, sie schmeckte wie eine Kreuzung aus Salatzwiebel, Melone und Kohlrabi. Im Heilkräuterbeet wuchsen Seifenkraut, Eibrich, Leinsamen, schwarzer Sesam, Mohn, Bockshornklee, Zitronen-Verbene, Koriander, Rauke, Knollenfenchel, Pflücksalate. Neben den üblichen Äpfeln und Kirschen züchtete Heike Physalis, Zitronen, Orangen, Granatäpfel und Feigen, die im mit Holz beheizten Gewächshaus überwinterten, mehrere Paprikasorten, Brombeeren, Chilischoten, Knoblauch, Myrte, ukrainische Wildgurken, die bis spät in den Herbst Früchte trugen, und Lorbeer. »Wir können uns immer auf unserem Lorbeer ausruhen«, scherzte Heike.
    Und was noch alles in dem Garten, durch den wir spazierten, zu finden war: In einem selbstgebauten Kräutertrockenschrank erwärmte sich die Luft durch die Sonne, die auf ein sich am Rücken des Schranks entlangschlängelndes schwarzes Rohr schien. Etwas weiter stand ein Solartrockner, ein roter Holzkasten, mit Styropor isoliert, wiederum von der Sonneneinstrahlung erhitzt. Er konnte acht Liter kaltes Wasser innerhalb von wenigen Stunden auf fünfundvierzig Grad aufwärmen.
    Auch diese Geräte hätten zwar Hoffnung machen können für die Jahrtausende nach dem Öl und nach der Atomkraft, aber sie sahen andererseits derart hölzern und wackelig aus, dass darauf kein Mut zu gründen war, und sie funktionierten nicht im Winter, wenn sie am dringendsten benötigt wurden.
    »Es ist ein körperlich sehr anstrengendes Leben, aber auch ein befriedigendes; denn ich weiß bei allem, warum ich das tue«, sagte Heike. Schon früh hatte sie sich gegen eine klassische Karriere, aber auch gegen Kinder entschieden, sie hatte andere Prioritäten. Sie arbeitete erst als Erzieherin behinderter Kinder, lebte in dieser Zeit sieben Jahre lang in einem kleinen Bus. Von Bremen bis zu den Alpen hatte sie wechselnde Jobs. Dann zog sie in eine Künstlerkolonie in der Eifel, wo sie als Kupferschmiedin arbeitete. In einer Holzhütte lebte sie dort ohne Strom, zweieinhalb Jahre auf zwölf Quadratmetern. Heike entfremdete sich bereits im Eifler Holzhaus von der Stadt. Nach einem Jahr besuchte sie erstmals Hamburg, und sie suchte zunächst die Streichhölzer, als sie Licht machen wollte. Ihre Mutter kam heute manchmal zu Besuch ins Paradies. Sie sagte dann, solch ein Leben hätte sie sich auch gern aufgebaut.
    Am Nachmittag brachte mich Heike wieder zum Bahnhof. Der Jeep ruckelte durch die Felder, die von einer riesigen Landmaschine mit Streukügelchen gedüngt wurden. Beim Fahrkartenkauf am Bahnhof in Pasewalk krabbelte ein schwarzer Käfer, auf dessen Flügelseiten weiße Punkte waren, aus meinem Jackenärmel und fiel auf den Schalter. Der Käfer krabbelte weiter in Richtung der Kartenverkäuferin. Ich schubste ihn auf

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