Vom Buch zum Byte. Kurze Geschichte des E-Books (German Edition)
Letternzünfte bei ihrem Feldzug gegen die angebliche „Napsterisierung“ der Gutenberg-Galaxis nicht auf ihrer Seite. Die Karriere des kanadischen Sci-Fi-Autors, Boing-Boing Bloggers und Journalisten wäre ohne Computer und freies Internet kaum vorstellbar. Vor allem ist Doctorow aber ein moderner Bürgerrechtler. Mit und in den neuen Medien kämpft er für besseren Datenschutz und gegen Digital Rights Management. Viele seiner Sci-Fi-Romane sind auch sehr praktisch ein Plädoyer für Kreativität und Freiheit, denn Doctorow veröffentlicht die elektronischen Versionen kostenlos unter einer weitgehenden Creative Commons Lizenz. Anders als das (c) des konventionellen Copyrights soll das (cc) der Creative Commons-Lizenz den jeweiligen Inhalt nicht künstlich verknappen, sondern so vielen Menschen wie möglich zugänglich machen.
Bereits Doctorows 2003 publizierter Roman „Down and out in the Magic Kingdom“ war cc-lizensiert, weitere Werke folgten. Zwischen Autor und Fangemeinde hat sich dabei eine produktive Arbeitsteilung entwickelt. So gab es auch von „Little Brother“ bereits kurz nach Erscheinen zahlreiche E-Book-Formate zum kostenlosen Download, konvertiert von der hilfreichen Internet-Crowd. Den Verkaufszahlen der Printversion hat diese Strategie nicht geschadet, ganz im Gegenteil. Kurz nach dem Erscheinen des englischsprachigen Originals im Sommer 2008 war „Little Brother“ bereits in den Top Ten der New York Times-Bestsellerliste, Abteilung Kinder- und Jugendbücher.
Die deutsche Ausgabe brachte Rowohlt in der Jugendbuchreihe „Rotfuchs” heraus – und versprach sich wohl nicht ganz zu unrecht Bestseller-Potential. Doctorow hat mit dem siebzehnjährigen Helden der Geschichte schließlich eine universelle Identifikationsfigur geschaffen. Das zeigen bereits die ersten Sätze:
„Ich gehe in die Oberstufe der Cesar Chavez High im sonnigen Mission-Viertel von SF, und das macht mich zu einem der meistüberwachten Menschen der Welt. Ich heiße Marcus Yallow, aber zu der Zeit, als diese Geschichte losging, lief ich unter w1n5t0n. Gesprochen: ‘Winston’.”
Winston hieß der Held aus Orwells „1984“. Als Orwell in den 1940er Jahren seinen „Großen Bruder“ entwarf, gab es im Alltag noch gar keine Computer. In der Welt von W1n5t0n sind sie allgegenwärtig geworden – Kameras erkennen die Menschen an ihrem Gesicht oder an ihrem Gang, Funkchips in Ausweisen ermöglichen flächendeckende Bewegungsprofile, und die Schul-Laptops senden jeden Mausklick und jedes geschriebene Wort an die Behörden weiter. Doch „Little Brother“ hat gegenüber dem literarischen Vorbild einen deutlichen Vorteil. Er ist nämlich nicht nur begeisterter Online-Gamer, sondern auch ein technisch versierter Hacker.
Doctorow hat „Little Brother” zwischen Mai und Juli 2007 zu Papier gebracht, besser gesagt, in sein Netbook gehackt, als wäre er selbst noch ein 17-jähriger Computerfreak. „Es gab Tage, an denen schrieb ich 10.000 Worte, in Flughafenlounges, U-Bahnen, Taxis, überall wo ich mich über mein Keyboard beugen konnte“, berichtet er im Vorwort. Parallelen zwischen Marcus „Winston“ Yallow und Doctorow dürften wohl kaum zufällig sein. Doctorow, Jahrgang 1971, war schon als Teenager ein Technik-Enthusiast, begeistert von den Möglichkeiten, über digitale Netzwerke politische Arbeit zu organisieren. „Little Brother“ ist zugleich aber eine Reaktion darauf, dass in der Welt nach dem 11. September Internet und PC wieder jenen Orwellschen Touch bekommen, den früher einmal die „Elektronische Datenverarbeitung“ hatte:
„Die 17-jährigen in meinem Umfeld verstehen sehr gut, wie gefährlich ein Computer sein kann. Der autoritäre Alptraum der Sechziger Jahre hat sie eingeholt. Verführerische kleine Boxen auf ihrem Schreibtisch und in ihren Hosentaschen überwachen alle ihre Schritte, pferchen sie ein, nehmen ihnen systematisch alle Rechte wieder ab, die ich in meiner Jugend genießen durfte.“
Dabei betreffen selbstverständlich Maßnahmen wie Online-Durchsuchungen, rigider Kopierschutz oder Netzsperren die Erwachsenen genauso. Die Zuspitzung von „Little Brother“ auf eine jugendliche Zielgruppe hat aber zugleich viel mit der gesellschaftlichen Realität zu tun, schließlich werden etwa Online-Games, Facebook oder Musik-Downloads gerade von der Generation U 25 genutzt. Es ist somit vor allem ihr Leben, das mit der zunehmenden Kontrolle des Internets an Qualität verliert, in den USA genauso
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