Vom Buch zum Byte. Kurze Geschichte des E-Books (German Edition)
historischen Covers, die Unterzeile fügte hinzu: „They are just going digital“. Die Titelstory aus der Feder von Steven Levy brachte es auf den Punkt:
„Obwohl das Kindle im Herzen eine Lesemaschine darstellt, produziert von einem Buchhändler, und sehr eindrucksvoll den Akt des Einkaufens und der Lektüre ermöglicht, geht es doch zugleich weit darüber hinaus: es handelt sich dabei um ein unaufhörlich vernetztes Gerät. Mit einer kleinen Fingerbewegung wird die Verbindung zwischen dem Geist des Lesers und den Machinationen des Autors durch eine Datenlawine unterbrochen, oder verstärkt. Darin besteht die disruptive Natur des Amazon Kindle. Es ist das erste Buch mit ‘immer-online’-Status.“
Creative Commons & Co.: Der kleine Bruder schlägt zurück
Ständig vernetzte Geräte haben jedoch auch Nachteile. Um das zu wissen, braucht man nicht einmal George Orwells dystopischen Roman „1984“ zu lesen. Es reicht, Orwell als E-Book bei Amazon gekauft zu haben. Im Sommer 2009 bemerkten Kindle-Besitzer, die genau das getan hatten, dass ihre elektronischen Versionen von „1984“ oder „Animal Farm“ plötzlich vom Reader verschwunden waren. Dafür befand sich die Kaufsumme wieder auf dem Konto. Des Rätsels Lösung: Amazon hatte über Nacht via “Whispernet” drahtlos alle Kopien auf den Geräten gelöscht.
Amazon-Sprecher Drew Herdener bemühte sich sogleich, das ominöse Vorgehen zu erklären. Die gelöschten Titel seien in Amazons Katalog über einen Dritt-Anbieter eingestellt worden, der allerdings für die USA nicht die Buchrechte besessen habe. „Als wir vom tatsächlichen Rechteinhaber darüber benachrichtigt wurden, haben wir die illegalen E-Books aus unserem System und von den Lesegeräten unserer Kunden entfernt und die Kaufsumme zurückerstattet.”
Trotzdem waren viele Kindle-Besitzer empört über diesen Eingriff in ihr virtuelles Bücherregal. Würde ein normaler Buchhändler denn jemals nachts in die Wohnung von Kunden einbrechen, um fehlerhaft erworbene Bücher wieder einzusacken, und auf dem Wohnzimmertisch ein paar Geldscheine zur Erstattung liegenlassen? Das Wall-Street-Journal sprach augenzwinkernd von einem „Orwellian Moment”. Juristisch gesehen befand der große Bruder Amazon sich dabei auf der sicheren Seite. „Genau genommen gewährt Amazon Ihnen lediglich eine Lizenz zum Lesen”, zitierte das WSJ Peter Brantley, Direktor des nicht-kommerziellen Internet Archives. “Sie kaufen die Lizenz, aber sie besitzen damit das E-Book nicht in der Weise, wie sie ein Buch besitzen, dass sie aus der Buchhandlung tragen”.
Die Öffentlichkeit sah das völlig anders. Ging es hier nicht genau wie in „1984“ darum, durch die Zerstörung von Informationen Kontrolle über die Gesellschaft auszuüben? Amazon-Sprecher Herdener musste am Ende versprechen: „In Zukunft werden wir in einem solchen Fall keine E-Books von den Geräten unserer Kunden löschen.” Doch die „Orwell-Affäre“ hinterließ eine Menge Fragezeichen, die nicht nur das elektronisches Lesen betrafen. In der Welt von PCs, Smartphones oder E-Readern schienen sich klassische Bürgerrechte plötzlich in bloßes Kundenrechte verwandelt zu haben. Wie sollte man dieser Machtverschiebung in Richtung der Unterhaltungsindustrie begegnen? Eine mögliche Antwort darauf gibt Cory Doctorows Roman „Little Brother“, dessen deutsche Version knapp ein halbes Jahr nach Amazons großer Löschungsaktion erschien.
Der Held der Geschichte heißt W1n5t0n, seine Waffe: ein klandestines Netzwerk aus gehackten X-Boxes. Sein Feind: die amerikanische Heimatschutzbehörde, die San Francisco nach einem Terroranschlag in einen Polizeistaat verwandelt. „Little Brother” schlägt zurück – in Cory Doctorows gleichnamigem Roman bekommt es der Große Bruder mit Teenager-Hackern zu tun, die nicht nur Passwörter knacken können, sondern vom Flashmob bis zur virtuellen Pressekonferenz die neuen Medien für sich nutzen. Denkt man Reizworte wie Vorratsdatenspeicherung, Bundestrojaner und Netzsperren, brachte der Rowohlt-Verlag die deutsche Fassung von “Little Brother” genau zum richtigen Zeitpunkt heraus. Selbst die traditionelle Buchbranche hatte 2010 begonnen, angesichts schwindender Profite im Print-Geschäft plötzlich das Schreckgespenst von Datenpiraterie an die Wand zu malen, und forderte strengere Kontrollen, obwohl der Marktanteil von E-Books im Heimatland Gutenbergs noch weit unter einem Prozent lag.
Cory Doctorow hatten die
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