Vom Dämon versucht - Rowland, D: Vom Dämon versucht
kann es ja kaum werden.“
Ich rieb mir die Augen und lehnte mich gegen die Arbeitsplatte. „Wird es aber leider.“
Er warf mir einen ungläubigen Blick zu.
Ich holte tief Luft. „Brians Essenz war fort, einfach ausgesaugt.“
Er schwieg einen Moment. „Du meinst, wie bei deiner Tante?“
Ich schüttelte den Kopf. „Tessas Essenz ist ihr nur genommen worden, um ein arkanisches Ritual zu unterstützen. Sie war völlig in Ordnung und intakt – das ist so, als wenn du eine Batterie aus einem Roboter nimmst und sie für irgendetwas anderes benutzt. Brians Essenz ist … vertilgt worden. Es waren nur noch Fetzen übrig.“
Ryan setzte sich an den Küchentisch und sah mit gerunzelter Stirn zu mir auf. „Woher weißt du das? Ich meine, verlässt die Essenz den Körper nach dem Tod nicht ohnehin?“
„Ja, aber nicht sofort, und es ist mehr ein sanftes Loslassen.“ Ich zog einen anderen Stuhl unter dem Tisch hervor und ließ mich darauf fallen. „Also das ist so … die physische Hülle hat die Essenz fest im Griff. Wenn sie stirbt, lockert sich dieser Griff, wodurch die Essenz sozusagen als Ganzes davonschweben kann. Wird sie aber aus dem Körper herausgesaugt, bleiben Fetzen zurück, als wäre Fleisch von einem Knochen gerissen worden.“
Er schüttelte sich. „Okay, das klingt ziemlich scheußlich. Und was bedeutet das? Kann er nun nicht in sein Leben nach dem Tod übergehen, oder was immer da kommt?“
Ich rieb mir die Schläfen. „Es ist ein bisschen komplizierter. Alles, was man mir über die Essenz und die Energie beigebracht hat, besagt, dass die Essenz wiederverwendet wird, auch wenn es keine direkte Wiedergeburt von einem Körper in den nächsten gibt. Stell es dir so vor, als würde man Wasser wieder zurück in einen Krug gießen. Das nächste Mal, wenn ein Kind zur Welt kommt, wird ein weiteres Glas ausgeschenkt. Aber wenn zu viel Essenz aufgesaugt wird, dann ist nicht mehr genug vorhanden, um ein neues Leben zu erschaffen, und dann kommt es zu sehr unangenehmen Nebeneffekten.“
„Wie zum Beispiel?“
„Totgeburten“, sagte ich leise. „Kranke Menschen, die sterben, obwohl sie sich eigentlich wieder hätten erholen müssen. Ein leerer ‚Krug‘ hat fast immer eine Art Vakuumeffekt zur Folge, da er jede noch erreichbare Essenz anzieht.“
Ryan runzelte die Stirn. „Was ist mit der Bevölkerungsexplosion?“
„Aus bestehender Essenz kann sich neue entwickeln, aber das braucht Zeit. Stell dir eine Tomate vor. Es dauert Wochen, bis sie herangewachsen ist, aber nur Minuten, um sie zu essen.“
„Ich denke, es macht mir Angst, dass du das weißt“, sagte er, und ein leichtes Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
Ich rutschte unbehaglich auf meinem Stuhl herum und erwiderte sein Lächeln nicht. „Es könnte mein Fehler gewesen sein.“
Er richtete sich auf. „Warte mal. Wie um Himmels willen kommst du darauf?“
Ich erzählte ihm schnell von dem Ilius und meiner Sorge, dass ich irgendwie dabei versagt hatte, ihn ordnungsgemäß zurückzuschicken. Aber als ich mit meinem Bericht fertig war, schüttelte er bereits den Kopf.
„Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Ich weiß zwar nicht viel über Beschwörungen und Dämonen, aber es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass er dir entkommt und sich dann ausgerechnet auf diesen Menschen stürzt. Auch wenn der Selbstmord begangen haben sollte.“
Ich seufzte. „Ich weiß, aber eine bessere Erklärung fällt mir nicht ein.“
„Dann bist du einfach noch nicht darauf gekommen“, meinte er. „Aber das wirst du noch.“
Ich schenkte ihm ein kleines Lächeln. Sein Vertrauen in mich war wahrscheinlich nicht zu rechtfertigen, aber es tat trotzdem gut. „Ich werde dir erlauben, mich zum Haus meiner Tante zu begleiten, wo ich – mal wieder – versuchen will, in ihre Bibliothek hineinzukommen, um ein paar Nachforschungen anzustellen.“
Er stieß ein lautes Lachen aus. „So wie Tom Sawyer es seinem Freund ‚erlaubt‘, den Zaun zu streichen?“
Ich grinste und stand auf. „Donnerwetter, ich wusste gar nicht, dass du lesen kannst.“
„Na ja … es war ein Hörbuch.“
„Klugscheißer. Wir treffen uns drüben.“
Ich stand im Flur des Hauses meiner Tante und betrachtete mit gerunzelter Stirn die Tür zur Bibliothek. Ich liebte meine Tante. Sie war die Einzige, die von meiner Familie übrig war, nachdem meine Eltern gestorben waren – meine Mutter an Krebs, als ich acht gewesen war, und mein Vater durch einen betrunkenen
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