Vom Dämon versucht - Rowland, D: Vom Dämon versucht
mich auf die Notizen zu meinen Fällen konzentrierte. Aber die mächtige Kellertür lockte mich, und meine Gedanken schweiften immer wieder ab zu dem Dämonenfürsten. Der Drang, ihn wiederzusehen, zu erfahren, wie er sich mir gegenüber verhalten würde, wurde immer größer. Trotzdem war mir klar, wie selbstsüchtig er war. Er war ein Dämon, kein Mensch, und er hatte eine ganz fremdartige Moral. Dämonen waren weder gut noch böse, so wie wir Menschen es empfanden. Für sie stand die Ehre über allem, und doch taten sie niemals irgendetwas ohne Grund.
Daher wusste ich, dass er etwas von mir wollte – meine Hilfe oder meine Fähigkeiten oder irgendeine Möglichkeit, die ich ihm eröffnen konnte. Er bat mich sicher nicht darum, ihn zu beschwören, weil er mich vermisste oder mich begehrte oder weil er mich mochte.
Wieder mal stellte ich mir die Frage, warum er mir das Leben gerettet hatte, aber leider hatte ich das Gefühl, dass ich diese Frage bereits beantwortet hatte. Er will etwas von mir. Selbstlosigkeit existierte in der Ethik der Dämonen einfach nicht.
Aber das konnte sich für beide Seiten auszahlen, denn es gab auch Dinge, die er für mich tun konnte. Ich hatte einige dringende Fragen über die Essenz des Lebens und andere arkanische Angelegenheiten, von denen ich hoffte, dass er in der Lage war, sie mir zu beantworten.
Ich zog mein Notizbuch aus der Tasche und riss eine leere Seite heraus. Ich hatte zu viele Fragen, und ich wusste nicht, ob ich die Zeit haben würde, mich durch das Chaos in Tessas Bibliothek zu kämpfen. Vielleicht suchst du aber auch nur nach einem Vorwand, um Rhyzkahl zu beschwören?
Ich drückte die Spitze meines Stifts ins Papier, während meine Verärgerung über mich selbst wuchs. Aber es ging kein Weg daran vorbei. Ich hatte mich im Grunde längst entschieden, ihn zu rufen. Und heute war die letzte Nacht in diesem Monat, in der der Mond voll genug sein würde, um es hinzubekommen.
Laut Kehlirik hatte Rhyzkahl sein Wort gegeben, dass ich ihn gefahrlos beschwören konnte. Und die Wahrscheinlichkeit, dass Kehlirik gelogen hatte, ging gegen null. Dämonen konnten grausam und gefährlich und hinterhältig sein, aber sie logen nicht. Stattdessen waren sie äußerst erfahren darin, die Wahrheit in einer Weise zu sagen, dass man genau das glaubte, was sie wollten.
Scheiß drauf. Wenn ich das Ding durchziehen wollte, konnte ich auch dafür sorgen, dass es sich für mich lohnte. Solange mir ein Dämonenfürst zur Verfügung stand, würde ich versuchen, ihm einige Informationen abzuringen.
Ich hatte zwei Leichen, denen man die Essenz ausgesaugt hatte. Damit würde ich anfangen. Ich zog das Papier zu mir heran und begann zu schreiben.
1) Könnte ein anderer Beschwörer einen Ilius benutzen, um Lebensenergie abzusaugen? Und wenn ja, warum?
2) Und wenn es kein Ilius ist, wer zum Teufel tut es dann?
3) Was auch immer es ist, wie kann ich es davon abhalten, es wieder zu tun?
Ich hielt einen Moment inne, den Stift noch auf dem Papier, während meine Kehle plötzlich wie zugeschnürt war. Meine nächste Frage hatte nichts mit den beiden Toten zu tun.
4) Gibt es irgendeine Möglichkeit, die Essenz wiederherzustellen?
Bei dieser Frage ging es allein um meine Tante. Wenn es keine Möglichkeit gab, eine Seele zurückzuholen, die fortgerissen worden war, dann gab es auch keinen Grund, den Körper meiner Tante weiter am Leben zu erhalten.
Doch darüber wollte ich im Moment nicht nachgrübeln. Ich atmete einmal tief durch und schrieb weiter. Ich hatte noch ein paar Fragen, bei denen ich überzeugt war, dass Rhyzkahl die Antworten darauf kannte. Ich war mir nicht sicher, ob ich die Nerven aufbringen würde, sie ihm zu stellen, aber trotzdem schrieb ich sie erst mal auf.
5) Was zum Teufel ist ein Kiraknikahl?
6) Warum hat Kehlirik so feindselig auf Ryan reagiert?
Ich betrachtete meine Liste, dann faltete ich sie sorgfältig zusammen.
Ich würde den Dämonenfürsten beschwören.
Normalerweise war ich vor einer Beschwörung ziemlich nervös. Es gab eine Menge Gefahren, denen man sich stellen musste – besonders wenn es um höhere Ebenen ging –, und daher war es nur klug, übervorsichtig und sorgfältig zu sein.
Als ich das letzte Mal einen Dämonenfürsten beschworen hatte, war ich völlig verängstigt gewesen. Ich war ziemlich überzeugt gewesen, dass meine Chancen, das Ritual zu überleben, äußerst mies standen. Aber dieses Mal hatte ich sein Wort, wenn auch nur von Kehlirik
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