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Vom Daemon verweht

Vom Daemon verweht

Titel: Vom Daemon verweht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Kenner
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Antwort klar auf der Hand. »Die Schachtel mit deinen Babysachen.« Ich bin keine, die über die ersten Jahre ihrer Kinder Tagebuch führt, aber ich bewahre wichtige Andenken in einer alten Hutschachtel auf. Erinnerungen an die Taufe (wie die Liedtexte und die Taufkerze) oder die inzwischen schon lange vertrocknete Chrysanthemenblüte, die im Krankenhaus nach Allies Geburt an meine Zimmertür gehängt wurde. Allies ersten Schnuller. Die Babydecke, in die sie das erste Mal gelegt worden war und die ich aus dem Krankenhaus geschmuggelt hatte. Solche Sachen.
    Nichts, was ich mir seitdem jemals wieder angeschaut hätte. Die Sachen liegen einfach in der Schachtel in einem Schrank und warten darauf, dass ich sie eines Tages, wenn es an der Zeit ist, heraushole und begutachte. Zum Beispiel, wenn Allie selbst ihr erstes Kind bekommt.
    »Der Brief war um die Kerze gewickelt«, erklärte sie jetzt. »Und die Kerze und der Brief lagen beide in einer Kerzenschachtel.«
    »Ich bin beeindruckt«, sagte ich.
    »Also – wann fahren wir nach Los Angeles?«, wollte sie wissen.
    »Wie bitte?«
    »Um den Lehrer zu finden«, fügte sie ungeduldig hinzu. »Du willst doch bestimmt mit ihm sprechen, oder?«
    »Stimmt«, erwiderte ich. Ich schon. Ich hatte Father Oliver seit vielen Jahren nicht mehr gesehen, aber ich war mir sicher, dass Eric ihn meinte.
    »Ich komme mit«, verkündete meine Tochter.
    »Allie, falls du es vergessen haben solltest – auch morgen gibt es diesen Ort, an den du gewöhnlich gehst. Du weißt schon – die Schule.«
    »Ich habe in all meinen Fächern schon weit vorausgelernt.«
    Ich machte mir nicht einmal die Mühe, sie nicht ungläubig anzustarren. »In allen deinen Fächern?«
    Sie seufzte genervt. »Na ja. Vielleicht nicht in Biologie, aber mich interessiert dieses ganze Photosynthesezeug sowieso nicht.«
    Da ich mir nicht sicher war, was man unter Photosynthese genau verstand und ob ich mir darüber Gedanken machen sollte, warum sie sich nicht dafür interessierte, entschloss ich mich, gar nicht erst darauf einzugehen. »Du kannst nicht einfach die Schule schwänzen, weil dir gerade danach ist, Allie. Und du kannst auch nicht etwas langweilig finden, nur weil es nichts mit Jungs oder Cheerleadern zu tun hat.«
    »Ich mag Algebra«, erklärte sie.
    Ich starrte sie verblüfft an. »Bist du dir sicher, dass wir verwandt sind? Irgendwie habe ich gerade das Gefühl, als ob mir ein Kuckucksei ins Nest gelegt worden wäre.«
    Sie schnitt eine Grimasse. »Versuch ja nicht, das Thema zu wechseln. Ich komme morgen mit. Da kannst du machen, was du willst.«
    Sie verschränkte die Arme und lehnte sich entschlossen zurück. Für einen Moment sah sie mir so verblüffend ähnlich, dass es geradezu unheimlich war.
    »Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist. Ehrlich.« Was würde zum Beispiel passieren, wenn Father Oliver im Gespräch irgendetwas über unsere Dämonenjägerei sagen würde?
    Sie sank in sich zusammen, und ich war mir fast sicher, dass ich den Kampf gewonnen hatte. »Es ist nur so… Ich beginne allmählich zu vergessen, wer er eigentlich war.«
    Mir krampfte sich das Herz zusammen. »Du meinst, du vergisst, wer dein Vater war?«
    Sie nickte und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. Auf einmal wirkte sie sehr klein, jung und verloren, und ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass sie ihren Vater jemals vergessen würde.
    »Ich will es nicht, aber ich war damals schließlich erst neun.
    Wenn ich mir Bilder von ihm anschaue, dann weiß ich natürlich wieder alles. Aber ich habe Angst, Mami. Was ist, wenn ich eines Tages ein Foto von ihm sehe und nichts mehr dabei empfinde?«
    »Ach, mein Schatz.« Ich musste wieder weinen und streckte die Arme aus, um meine Tochter an mich zu drücken. Timmy hatte das Interesse an seinem Fernsehprogramm verloren und kam zu uns. Er kletterte auf die Couch und drängte sich zwischen Allie und mich.
    Ich wollte es ihr noch immer nicht erlauben. Ich hätte am liebsten aus voller Kehle gerufen: »Nein, du darfst nicht mit!« Doch in meinem Herzen wusste ich, dass sie mitkommen musste. Wenn Allie morgen die Wahrheit herausfand, musste ich eben damit zurechtkommen. So einfach war das.
    War es nicht das, worum es beim Elternsein ging?
    Allie war offenbar sehr nervös, denn sie weckte mich bereits kurz nach Sonnenaufgang, noch ehe Stuart aus dem Bett gekrochen war.
    Er setzte sich auf und blinzelte verwirrt in die Dunkelheit. »Was – «
    Ich gab ihm einen Kuss auf

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