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Vom Daemon verweht

Vom Daemon verweht

Titel: Vom Daemon verweht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Kenner
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befanden, unternahm ich einen neuen Anlauf. »Komm schon, Junge. Du musst doch irgendetwas gemacht haben. Erzähl mir davon.«
    In Wirklichkeit wusste ich bereits, dass sie mit Fingerfarben gemalt hatten, denn das stand in dem kleinen Bericht, den ich in seiner Kindergartentasche gefunden hatte.
    Timmy hatte jedoch keine Lust, damit herauszurücken. Er gab sich höchst geheimnisvoll.
    »Nicht reden, Mami. Ich lutsche Daumen.«
    »Verstehe«, sagte ich. »Natürlich. Klar. Vielleicht könntest du deinen Daumen ja kurz herausnehmen, um deiner Mami von deinem Tag zu erzählen.«
    Wieder schwieg er. Nur ein leises Schmatzen war zu hören.
    »Timmy? Komm schon. Ich will es wissen.«
    Ich rückte meinen Rückspiegel so zurecht, dass ich meinen Sohn besser im Blick hatte. Er nahm den Daumen aus dem Mund und starrte mit großen Augen auf meine Rückenlehne.
    »Mami«, erklärte er ungeduldig. »Ist doch klar. Ist ein Geheimnis!«
    »Ach so! Verstehe. Ein Geheimnis…« Was bitteschön sollte das heißen? Ich musste lächeln und beschloss, ihm nicht weiter auf den Zahn zu fühlen. Schließlich wusste ich, was es hieß, ein Geheimnis zu hüten.
    Ich grinste noch immer, als ich die Tür öffnete, die von unserer Garage in die Küche führt. Timmy rannte an mir vorbei und brüllte dabei in höchster Lautstärke: »Blau und schlau!« Ich folgte ihm. Mein Lächeln verschwand, als ich meine Tochter am Küchentisch entdeckte. Ihre Augen waren rot, ihre Wangen feucht, und Tränen hatten in dem Puder, den sie am Morgen aufgetragen hatte, deutliche Spuren hinterlassen.
    »Allie? Liebling – was ist los?«
    Ich ließ meine Tasche fallen und trat zu ihr. Als ich versuchte, sie in die Arme zu nehmen, wandte sie sich ab. Offenbar wollte sie nicht von mir berührt werden. Da ich weiß, wann ich mich zurückhalten muss, zog ich einen Küchenstuhl heraus und setzte mich ihr gegenüber. Mein Herz pochte heftig, während ich darauf wartete, zu erfahren, was sie so sehr aus der Fassung gebracht hatte.
    »Allie? Hat es mit einem Jungen zu tun?« Eigentlich nahm ich das nicht an. Ich hatte das Gefühl, es ging um etwas anderes. Aber noch hoffte ich. Ich hoffte inbrünstig, dass es nicht mein Geheimnis war, was sie zum Weinen gebracht hatte.
    »Ein Junge?«, wiederholte sie und schüttelte dann den Kopf. »Nein, es geht um keinen Jungen.« Sie blickte auf und sah mich an. Aus der Nähe konnte ich noch besser erkennen, dass sie schon länger geweint haben musste.
    »Schatz…«
    Sie unterbrach mich, indem sie mit einem Blatt Papier vor meiner Nase hin und her wedelte. »Das ist von Daddy.« Ich erstarrte. Das Blut in meinen Adern gefror.
    »Von Stuart?«, stammelte ich.
    Aber ich kannte die Antwort, noch ehe Allie sprach. Der Brief war von Eric. Und irgendwie war es ihr gelungen, ihn zu finden und zu lesen.

 
    »Willst du mir endlich erzählen, was hier eigentlich los ist?«, fragte Allie.
    Wie benommen schüttelte ich den Kopf. Für den Moment stand ich viel zu sehr unter Schock, als dass ich etwas hätte sagen können.
    »Mami? Ich habe ein Recht, das zu erfahren. Wenn es irgendetwas mit meinem Vater zu tun hat, dann musst du mir das sagen.«
    »Ist es ein Brief von Eric?«, wollte ich wissen. Den Blick hielt ich starr auf das Stück Papier in ihrer Hand gerichtet.
    Sie presste die Lippen zusammen. »Ja«, murmelte sie.
    Ich streckte die Hand aus, und Allie reichte mir den Brief. Darin stand Folgendes:
    Meine geliebte Katie,
    wenn Du das liest, hast du bestimmt bereits das Schließfach in der Bank entdeckt (Falls das nicht der Fall sein sollte – und Du irgendwie zufällig an diesen Brief gelangt bist –, musst Du zur County-Mutual-Bank. Dort behauptest Du, Deinen Schlüssel verloren zu haben. Nenne ihnen Deinen Namen, und sie werden Dir sicherlich weiterhelfen können.) In meinem anderen Brief habe ich Dir erklärt, wie es zu all dem kam. Oder zumindest habe ich Dir einen Hinweis gegeben.
    Hier will ich nicht mehr sagen. Ich möchte vielmehr, dass Du den pensionierten Lehrer findest, unseren Freund aus unseren Tagen in Los Angeles. Erinnerst Du Dich noch an ihn? Finde ihn, Kate. Er wird wissen, wohin Du Dich als Nächstes wenden musst.
    Ich liebe Dich und Allie mehr als alles auf der Welt. Verwahrt dieses Wissen in Euren Herzen. Ich bin immer bei Euch.
    Auf ewig Dein,
    Eric
    Als ich den Brief zu Ende gelesen hatte, legte ich ihn auf den Tisch, ohne auf die Tränen zu achten, die mir jetzt über die Wangen liefen. »Wo hast du ihn

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