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Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes

Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes

Titel: Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvester Walch
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gegen das natürliche Wachstum des Klienten.

    Ein anderes Problem ergibt sich daraus, dass sich viele Menschen von einem spirituellen Weg erhoffen, dass auch ihre Lebensprobleme gelöst werden. Das kommt nicht von ungefähr, denn es wird ja auch propagiert, dass man sich dadurch vom Leiden befreien und im Leben glücklicher werden kann. In der Tat ist das Ziel spiritueller Praxis auch die Transformation der alten Identität. Die neue Identität verheißt mehr Frieden und Freude. Hier gibt es natürlich starke Überschneidungen zur Psychotherapie. Die Mittel sind aber nicht zureichend, wenn man weiß, dass unbewusste Inhalte aufgedeckt werden müssen, um frühkindliche Überforderungen zu bewältigen oder seelische Defizite auszugleichen. Loslassen, Meditieren oder mit dem universalen Selbst in Kontakt treten kann die Psyche vorübergehend beruhigen oder Kraft spenden, aber nicht wirklich die Probleme lösen. Wenn spirituelle Lehrer zum Entidentifizieren von Gefühlen auffordern, kann das nur gelingen, wenn keine emotionalen Fixierungen vorliegen. Ansonsten müssen Affekte erst zugelassen und ausgedrückt werden, um klären zu können, welche erlebten Lebensereignisse dahinterstehen.
    Wenn ein Kursteilnehmer nach einer Meditation hasserfüllt aufspringt, weil das Gesicht seines gewalttätigen Vaters erscheint, muss man erst die tieferliegende Szene bearbeiten, um diese Spannung zu lösen. Die Aufregung mit weiterer Meditation zu beschwichtigen führt in eine Sackgasse, weil sich durch die Abwehr dieser heftigen Emotion der Impuls nach innen wendet und dort Schaden anrichtet. Innere und äußere Konflikte dürfen nicht unintegriert bleiben, sonst werden die Effekte des spirituellen Übens vermindert.
    Im Vorstand einer spirituellen Gesellschaft, alle langjährig Meditierende, gab es dauerhafte unausgesprochene Probleme. Diese wurden tabuisiert, und das Konfliktpotenzial wurde unterdrückt. Anstatt dem angestauten Ärger Luft zu verschaffen, sollten Achtsamkeits- und Mitgefühlsübungen für Abhilfe schaffen. Daraufhin wurden die Aggressionen verdeckt ausagiert. Die Grüppchenbildung verstärkte sich, und es wurde mehr übereinander statt miteinander geredet. Die internen Schwierigkeiten nahmen zu, und die Gesamtatmosphäre verschlechterte sich erheblich. In unruhigen Meditationssitzungen, organisatorischen Unzulänglichkeiten und Vertrauenskrisen mit dem spirituellen Leiter repräsentierten sich indirekt die chronischen Spannungen. Erst nachdem die Betroffenen entschieden, sich supervisorischem Beistand anzuvertrauen, veränderte sich die Situation grundlegend zum Positiven, weil die persönlichen Animositäten offen ausgetragen wurden. Der Irrtum besteht darin, dass man annimmt, Wut oder andere heftige Gefühlsregungen loslassen zu können, bevor sie integriert worden sind.

    Ein zweites wichtiges Problem liegt meines Erachtens in der falschen Vorstellung, dass Spiritualität hierarchisch über der Psychotherapie steht und sie einschließt. Der Trugschluss, dass, wer das Göttliche erfahren hat, gleichzeitig von allen Lebensproblemen erlöst ist, hat zu mächtigen Problemen in den spirituellen Gemeinschaften geführt. Ein bekannter Meditationslehrer bekennt freimütig über seine jahrelange spirituelle Praxis:
    »In der gesamten Zeit bin ich nicht eine einzige meiner Neurosen losgeworden.« (Ram Dass in: Zundel/Fittkau, 1989, S.474)
    Jetzt gibt es für die Lösung der persönlichen Probleme allerdings auch spirituelle Techniken, die in der Endphase der Bearbeitung nützlich sein können. Da viele Übungen darauf abzielen, sich von bisherigen Konzepten und Vorstellungen zu entidentifizieren, relativieren sie auch pathologische Gewohnheiten. Wenn Menschen in der Psychotherapie Einsichten in die unbewusste Dynamik ihrer psychischen Probleme gewonnen und sie dementsprechend umfassend bearbeitet haben, bleiben sie trotzdem häufig mit alten Mustern identifiziert, weil durch die oftmalige Wiederholung problematisches Verhalten so stark vorgebahnt wird, dass es bei bestimmten Reizen (Triggern) in Sekundenschnelle ausgelöst wird. Die Angst vor dem gewalttätigen Vater wurde zwar erkannt, die Gefühle ausgedrückt, aber es gibt auch eine Fixierung an das Muster, so dass unvermittelt Autoritätskonflikte auftreten können. Hier können nun meditative Techniken helfen, aus verbliebenen Resten ganz auszusteigen. Da keine Einsicht, kein Ausdrücken mehr erforderlich ist, kann dann das bewusste Loslassen das letzte

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