Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes
durch die Aufstellung von Buddhastatuen auf dem Dach eines Trainingsgebäudes der Energiefluss erhöht werden.
Demgegenüber wird jeglicher unaufgeklärter Religiosität von Vertretern eines »neuen Atheismus« der Kampf angesagt, so Richard Dawkins (vgl. 2007), ein Oxfordianer, mit seinem Bestseller Gotteswahn. Diese Schriften richten sich vor allem gegen einen fanatisierten Glauben, der mühsam errungene Freiheiten aufs Spiel setzt und Terror verbreitet.
Die berechtigte Kritik an dogmatischen Auswüchsen darf jedoch nicht zu einer pauschalen Ablehnung von spirituellen Ansätzen führen, denn Modeströmungen weisen auch auf bisher vernachlässigte Aspekte hin. Es ist auch wirklich die Zeit für einen Paradigmenwechsel gekommen, in der die mystische Seite des Menschseins neue Beachtung findet. Materialistische Einstellungen werden zunehmend in Frage gestellt, weil sie für zerstörte Ressourcen, wachsende Armut und Bedrohungen durch die Natur verantwortlich gemacht werden. Vor noch nicht allzu langer Zeit haben in der psychologischen Forschung Sinn- und Glaubensfragen, obwohl aufs engste mit dem Menschsein verbunden, kaum Beachtung gefunden. Das Bedürfnis nach Spiritualität wurde dazumal sogar im Sinne eines Regressionsbedürfnisses pathologisiert und als eine Indikation für eine psychotherapeutische Behandlung gewertet. Der aufgeklärte, seiner selbst bewusste Mensch sollte autonom und unabhängig sein von etwas Größerem. Ganz genau kann ich mich noch daran erinnern, wie Kandidaten für die Psychotherapieausbildung nicht zugelassen wurden, wenn man herausfand, dass sie einer religiösen Gemeinschaft angehörten.
Heute stellt sich die Situation vollkommen anders dar. Ein Psychotherapeut, der die geistig-existenzielle Dimension des Menschen nicht mit einbezieht, gilt als hoffnungslos unmodern. Achtsamkeit, Akzeptanz, Mitgefühl und Weisheit werden mittlerweile in vielen psychotherapeutischen Richtungen als positive Therapeutenvariablen geschult. Außerdem ist klargeworden, dass psychische Erkrankungen ausgelöst werden können, wenn Sinnhorizonte wegbrechen und man nicht mehr weiß, wofür man lebt. Zum Beispiel wird derzeit in der klinischen Psychologie im Bereich der Anpassungsstörungen eine neue Kategorie diskutiert, nämlich die Verbitterungsstörung. Sie besagt, dass jemand deshalb leidet, weil er keinen tieferen Sinn im Leben findet. Diese »existenzielle Verbitterung« sei nur durch eine Art Weisheitstherapie, die auch Sinnarbeit leistet, in den Griff zu bekommen. Erst diese breitere Perspektive kann eine tiefere Atmosphäre von Heilung und Genesung hervorrufen. Echte Psychotherapie muss nach C. G. Jung (1972, S.465) das Numinose mit einschließen: »Es ist so, dass der Zugang zum Numinosen die eigentliche Therapie ist, und insoweit man zu den numinosen Erfahrungen gelangt, wird man vom Fluch der Krankheit erlöst.« Wir kommen dabei mit einer transzendenten Energie in Kontakt und spüren die tiefe Kraft, aus der heraus wir existieren.
Diese Anschauung hat nun auch das Parkett wissenschaftlicher Tagungen erobert, die sich vermehrt mit Glaubensfragen, Glückssuche, Intuition und Weisheit auseinandersetzen. So etwa befasste sich ein Weltkongress mit der Frage nach dem »wahren Glück« des Menschseins. Die dort vorgestellten empirischen Studien bestätigen, dass der Mensch nur dann ein zufriedenes Leben führen könne, wenn er sich für andere Menschen einsetzt, wertvolle Ziele verfolgt und sich den positiven Aspekten des Lebens öffnet. Die längst vergessene Feststellung Sigmund Freuds (1975, S.318 f.), »… dass der normale Mensch nicht nur viel unmoralischer ist, als er glaubt, sondern auch viel moralischer, als er weiß …«, wird mit neuem Leben erfüllt.
In Boomzeiten fällt es nicht leicht, das Wesentliche differenzierend im Blick zu behalten und der Versuchung zu widerstehen, unkritischen Ideologien, die schnelle und angenehme Lösungen bieten, aufzusitzen. Ganzheitliche Sichtweisen erwecken aufgrund ihres umfassenden Erklärungsanspruchs zu Unrecht den Eindruck der Vollständigkeit. Das ist gefährlich, wenn man bedenkt, wie wenig wir bisher über das menschliche Sein wissen.
Manches werden wir vielleicht überhaupt nicht in Erfahrung bringen können, weil das Bewusstsein die Bedingungen und Prägungen seines Erkennens nicht außer Kraft setzen kann.
Daher bleibt zwangsläufig Wissen stets subjektiv und perspektivisch. Das muss man sich immer wieder bewusst machen, um nicht der Gefahr
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