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Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes

Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes

Titel: Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvester Walch
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als die anderen Gruppenmitglieder längst den Gruppenraum verlassen hatten und ich alleine mit Stan noch neben ihr saß, verebbten allmählich die Bewegungen, ihr Körper entspannte sich mehr und mehr, und plötzlich kehrte tiefer Frieden ein. Stan brachte ihr eine Tasse Tee. Sie trank ihn, lächelte und sagte: »Danke, dass ihr bei mir geblieben seid. Ich bin glücklich und voller Liebe!«
    Am nächsten Morgen, als wir über Heilmechanismen diskutierten, betonte Stanislav Grof: »Beim Holotropen Atmen geht es darum, dass wir dem inneren Prozess – der inneren Weisheit – vertrauen und nicht mit unseren Konzepten im Wege stehen.« Die radikale Achtung des inneren Prozesses, der einer größeren Weisheit folgt, ist für die Arbeit mit veränderten Bewusstseinszuständen unumgänglich. Diese Orientierung an den Wirkkräften des universalen Selbst bringt einen umfassenden Transformationsprozess ins Rollen. Das konnte ich bei mir wie auch bei vielen Menschen beobachten, die ich in den letzten fünfundzwanzig Jahren in diese Welten begleiten durfte. Derartige Erlebnisse, in denen die rational-empirische Welt etwas zur Seite tritt, können natürlich auch heftige Erschütterungen auslösen. Wenn beispielsweise die Schläge des Vaters durch Verfärbungen der Haut sichtbar werden, der Körper sich von selbst bewegt oder man panischen Ängsten ausgesetzt ist, dann wirkt das zunächst bestürzend. Allerdings werden durch das Erleben nur verdrängte Themen sichtbar, die sich auflösen möchten. Das, was sich meldet, muss sich dabei vollständig ausdrücken können, um alte Wunden ganz zu heilen.
    Im veränderten Bewusstseinszustand kann es auch vorkommen, dass man sich plötzlich außerhalb des Körpers erlebt, zukünftige Ereignisse vorhersieht oder verstorbenen Angehörigen begegnet. Man kann sich auch in fremden Zeit- und Kulturräumen bewegen oder sich mit anderen Lebewesen identifizieren. Vielleicht erfährt man sich sogar nicht mehr als Einzelwesen, sondern vielmehr als transparent und verbunden mit allem. Alle diese Erfahrungen dienen letztlich der Vertiefung und Erweiterung des inneren Weges. Da ich an anderer Stelle (vgl. Walch, 2009) ausführlich und detailliert auf diese hervorragende Möglichkeit der Selbsterfahrung eingegangen bin, soll hier nur eine kurze Beschreibung folgen, um zu verstehen, unter welchen Umständen holotrope Atemerfahrungen, von denen öfter die Rede war, zustande kommen.

    Das Holotrope Atmen ist eine natürliche psychospirituelle Methode, um veränderte Bewusstseinszustände hervorzurufen. Dadurch können seelische Probleme gelöst werden und Durchbrüche zu spirituellen Erfahrungsräumen gelingen. Es wird zumeist in Gruppen durchgeführt, kann aber auch im Einzelsetting angeboten werden. Im Zusammenspiel von beschleunigter Atmung (Hyperventilation), unterstützender Musik und prozessorientierter Körperarbeit werden die Grenzen des empirischen Alltagsbewusstseins geöffnet und psychische Barrieren überwunden, um bedeutsames seelisch-geistiges Material freizusetzen.
    Eine Atemsitzung findet in einem speziell vorbereiteten Gruppenraum statt. Er ist etwas abgedunkelt, und Arbeitsinseln mit Matten, Kissen, Decken etc. sind eingerichtet. Die Gruppenmitglieder – etwa zwischen sechzehn und dreißig Personen – haben sich in Paaren zusammengefunden: jeweils ein Erfahrender und ein Begleiter. Die Rollen werden dann in der nächsten Atemsitzung gewechselt. Der Begleiter oder Sitter hat die Aufgabe, darauf zu achten, dass der Erfahrende, der mit geschlossenen Augen in einem Trancezustand auf dem Rücken liegt, sich sicher fühlen kann, insbesondere bei intensiven emotionalen Regungen, heftigen Bewegungen und starkem körperbetontem Ausdruck. Er gibt auch nährenden Beistand oder kraftvollen Widerstand, je nachdem, was der Erfahrende braucht. Es kann aber auch sein, dass er während der ganzen Sitzung ruhig und aufmerksam daneben sitzt. Sitter berichten immer wieder, dass im Dienen und Helfen ihr eigener Prozess sinnvoll ergänzt wird. Zu Beginn der Sitzung – die Erfahrenden liegen also mit geschlossenen Augen auf dem Rücken – wird eine Entspannungsübung durchgeführt, um sich leichter öffnen zu können. Am Ende dieser Übung werden die Teilnehmer aufgefordert, dynamischer zu atmen und alles zuzulassen, was sich an Körpergefühlen, Bildern, Tönen und Bewegungen einstellt.
    Die Beeinflussung des Atemrhythmus wurde von alters her in den unterschiedlichsten Mysterienschulen praktiziert,

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