Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes
das Universum. Während in der Stufe davor die Identität des Erlebenden noch existiert, erfährt man nun die Totalität des All-Einen, jenseits jeder Form, Gestalt, Substanz, Kultur und Zeit. Es ist vor allem Anfang und hinter jedem Ende. Es ist dort, wo es alles und nichts gibt und die Zeit sich verläuft. Dafür stehen verschiedene Begriffe wie Einheitserfahrung, Erleuchtung, Samadhi, Satori oder Unio mystica. Der unsterbliche Geist erfährt im Seinsganzen seine letzte Verankerung; er fließt und strömt, ist ungeschieden, absolut, unbegrenzt, substanzlos und leer. Durch die totale Aufhebung der Dualität aller Fixierungen und festen Strukturen werden wir so vom Göttlichen durchsetzt, dass wir es selbst sind – Mensch und Gott zugleich.
Alle mystischen Wege wollen das große Erwachen herbeiführen. Selbstverwirklichung ist letztendlich nichts anderes, als im universalen Selbst vollends aufzugehen. Die Einheit mit dem All-Einen ist die Krönung des spirituellen Wegs, weil die revolutionäre Transformation des Menschen darin ihren Abschluss findet. Und doch passiert nichts anderes als die Verwirklichung des Lebens, so, wie es angelegt ist. Menschen, die aus diesem dritten Grad der Transzendenz leben, haben eine unwiderstehliche Ausstrahlung, erstaunliche Fähigkeiten von Konzentration und Aufmerksamkeit, verströmen echte Güte und wahrhaftiges Mitgefühl. Sie sind tief verwurzelt in der Liebe zum Sein. Diesem Zustand kann man sich aber auch punktuell annähern. Weil uns Gott so nah ist, kann auch die Erleuchtung nicht so weit entfernt sein. Sie ist keine Utopie, sie findet in vielen Momenten des Lebens statt und ist überall anzutreffen. Jeder Augenblick, in dem ich heller werde, mich verbunden fühle oder verstehe, wer ich wirklich bin, ist ein Moment der Erleuchtung. Sie ereignet sich mitten im Leben, in der tagtäglichen spirituellen Praxis oder in der Auseinandersetzung mit Hindernissen. Jede irdische Erfahrung kann zur Transformation beitragen und den Funken Gottes entzünden. Egal, welche Methode wir zur Bewusstwerdung anwenden, immer werden wir zum Nullpunkt gelangen und dorthin geführt, wo nur noch das Om existiert und der Anfang und das Ende eins werden.
Holotropes Atmen als transpersonale Selbsterfahrung
Ein Weg zur Ganzheit muss den Körper, die Seele und den Geist einschließen, Heilung ermöglichen, spirituelle Öffnungen bewirken und eine Übungspraxis initiieren. Diesem integrativen Anliegen ordnen sich die Konzepte der transpersonalen Psychologie unter. In sie fließen Einsichten aus veränderten Bewusstseinszuständen, Ansätze westlicher Psychologien, Erkenntnisse moderner Psychotherapie und das überlieferte Wissen mystischer Traditionen mit ein. Das Holotrope Atmen kann als vortrefflicher Praxisweg der transpersonalen Psychologie angesehen werden. Es oszilliert zwischen körperlichen, seelischen und geistigen Wachstumsprozessen. Der Begriff holotrop bedeutet sinngemäß »in Richtung Ganzheit gehen«. Der Begründer des Holotropen Atmens, Stanislav Grof, entwarf eine neue Kartographie der Psyche, um die vielfältigen Erfahrungsdimensionen zu ordnen. Die lebensgeschichtliche oder psychodynamische Ebene kann durchaus mit den Inhalten verglichen werden, wie sie auch in der traditionellen Psychotherapie zugänglich werden. Es werden aber auch Erlebnisse aus frühester Babyzeit (präpersonale Ebene), von der Geburt (perinatale Ebene) und im Mutterleib (pränatale Ebene) berichtet. Speziell auf Erfahrungen jenseits vertrauter Raum- und Zeitgrenzen (transpersonale Ebene) und auf mystische Zustände (spirituelle Ebene) soll hier Bezug genommen werden, weil durch sie die transpersonale Wesensnatur des Menschen erfahrbar wird. Das Holotrope Atmen gibt dem Praktizierenden die Möglichkeit, außergewöhnliche Erfahrungsräume zu betreten und die Angst vor dem Ungewöhnlichen abzulegen. Außerdem können dadurch tiefgreifende Heilungsprozesse begonnen, das schlummernde Potenzial der Kundalini geweckt und Zugänge zur spirituellen Welt eröffnet werden. Hervorzuheben ist auch die immense Kraft der universellen Liebe, von der man in solchen Sitzungen durchdrungen werden kann.
Vor langer Zeit durfte ich als Teilnehmer einer Atemsitzung, die Stanislav Grof leitete, einem eindrucksvollen Vorgang beiwohnen. Eine Frau fiel in einen extremen Zustand. Sie zitterte über Stunden hinweg am ganzen Leib, stieß immer wieder furchtbare Schreie aus und wurde wie von Energiewellen geschüttelt. Gegen ein Uhr nachts,
Weitere Kostenlose Bücher