Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes
werden andererseits von Außenstehenden oft äußerst skeptisch aufgenommen. Dies hat damit zu tun, dass die Erfahrung auf eine Außenwelt trifft, die in ihrer weltanschaulichen Voreingenommenheit oft unfähig ist, ihr inneres Wesen begreifen zu können. Wir können nicht Erfahrungen in veränderten Bewusstseinszuständen mit den Kriterien einer szientistisch orientierten Erkenntnistheorie untersuchen. Gefordert sind vielmehr ein hohes Ausmaß an Flexibilität, Einfühlung, Liebe und Achtsamkeit sowie eine Einstellung, die möglichst frei von Vorurteilen und Ressentiments ist. Man muss die Erfahrungen für sich selber sprechen lassen – und wie es Metzger (1975, S.12), ein Klassiker der psychologischen Forschung, treffend ausdrückt:
»Das Vorgefundene einfach hinnehmen, wie es ist, auch wenn es ungewohnt, unerwartet, unlogisch, widersinnig erscheint und unbezweifelten Annahmen oder vertrauten Gedankengängen widerspricht … Der Sache mit Liebe und Ehrfurcht gegenübertreten, Zweifel und Misstrauen aber gegebenenfalls zunächst vor allem gegen die Voraussetzungen und Begriffe zu richten, mit denen man das Gegebene bis dahin zu fassen versuchte.«
Aus dem Gesagten lässt sich vielleicht schon erahnen, dass das Holotrope Atmen ohne ein tiefes Vertrauen in das, was geschieht, also in die grundsätzliche Sinnhaftigkeit des inneren Prozesses, nicht auskommen kann. Wir kommen nur so weit, wie unsere Hingabe und unser Mut reichen, auf die innere Weisheit zu hören. Regelmäßige Meditationen und Rituale betonen die spirituelle Ausrichtung des Holotropen Atmens. Diese Art transpersonaler Selbsterfahrung führt unmittelbar zum innersten Kern und enthüllt die Geheimnisse des Lebens auf wunderbare Weise.
Die Mystik des Lebens
Das Sein und Werden ist voller Geheimnisse. Das innere Gewebe des Lebens ist aus unendlich vielen Fäden geknüpft. Die verborgene Ordnung, an der sich das Menschsein orientiert, ist nur durch die Gnade der Selbstverwirklichung zu entdecken. Wer mutig und ausdauernd sucht, kann den Schlüssel zu einem segensreichen Leben finden. Dank meiner spirituellen Lehrerin und der Offenheit zahlreicher Menschen, die sich mir in psychotherapeutischen Prozessen, veränderten Bewusstseinszuständen und spirituellen Übungen anvertrauten, konnte ich ein zentrales Grundprinzip unseres Leben verstehen lernen: Alles, was geschieht, ist sinnvoll und dient unserer Entwicklung. Indes ist der Weg zur Ganzheit kein automatischer Vorgang, sondern erfordert eine Kraftanstrengung und die Bereitschaft, alles dafür zu tun. Nur wer leidenschaftlich sucht und sich selbst riskiert, wird die Früchte des Lebens ernten. Ein hoher Aufwand ist zu leisten, um beständig Bewusstheit über sich zu erlangen, zum Wesenskern vorzudringen, ausdauernd das Ego zu transformieren und dem zu vertrauen, was einfach geschieht. Entbehrungen, Krisen, Zweifel und Engpässe sind dabei zu überstehen.
So musste eine junge Frau, nachdem sie sich für einen spirituellen Weg entschied, eine strapaziöse Krankheit durchmachen. Sie geriet in Panik, weil sie kurz vor der Beendigung eines wichtigen beruflichen Projekts stand. In der Fantasie sah sie das enttäuschte Gesicht ihres Projektleiters, der ihr das Fehlen ankreidete. Sie bangte um ihre Karriere. Das hohe Fieber legte sich wie ein schwerer Mantel auf ihre Gliedmaßen, und sie versank in einen Dämmerzustand. Plötzlich hatte sie eine Vision: Völlig unbeschwert saß sie in einer blühenden Wiese und malte ein Bild. Das war für sie ungewöhnlich, da sie seit der Schule keine Farben mehr zur Hand genommen hatte, weil sie glaubte, unbegabt zu sein. Nach einigen Tagen des Leidens fühlte sie sich plötzlich gereinigt, frisch und empfindsam. Als sie wieder an ihre Arbeitsstelle zurückkam, konnte sie, von unvergleichlichen Ideen inspiriert, die Qualität des Projekts noch entscheidend verbessern.
Wenn die gewohnten Abläufe gestört werden oder eine höhere Gewalt eingreift, ist es für einen Suchenden elementar, den aufkommenden Hader loszulassen und innezuhalten. Hilfreich kann dabei sein, sich zunächst bewusst zu machen, dass es ein Leben ohne Schwierigkeiten nicht gibt. Das Leiden ist allgegenwärtig, ob nun jemand einsam ist oder Probleme mit seinem Partner hat, verzweifelt gegen die Kinderlosigkeit kämpft oder mit seinen Kindern schwere Zeiten durchmacht, an einem körperlichen Gebrechen leidet oder als Spitzensportler depressiv ist, einen Karriereknick zu beklagen hat oder sein Vermögen
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