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Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes

Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes

Titel: Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvester Walch
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Veränderungsprozesse ein. Das Übertragungsgeschehen muss zunächst wahrgenommen und dann akzeptiert werden. Dann erst können die dahinterliegenden Motive und dazugehörigen biographischen Szenen bewusst werden.

    Zum Schluss soll noch erwähnt werden, dass natürlich auch überlieferte Normen, kulturelle Prägungen, spezifische Sprachregeln, Menschen- und Weltbilder die Selbsterkenntnis verstellen können. Die Lebensgeschichte ist in die Kultur- und Weltgeschichte eingebettet. Sie liefert die Bewegungsräume und Bewegungsmuster, innerhalb deren sich Individualität entfalten kann. Die mangelnde Gleichberechtigung von Frauen in den islamischen Staaten spiegelt sich auch in den Menschenbildern, Ansichten und Werten wider. Durch die Überbetonung von Konkurrenz in den westeuropäischen Staaten werden die persönlichen Bedürfnisse höher bewertet als in fernöstlichen Kulturen, in denen egoistische Verhaltensweisen kritisiert werden. Selbsterkenntnisse werden immer auch durch weltanschauliche Chiffren, gesellschaftliche Verhältnisse und den jeweils eigenen Wissenshorizont gefiltert.
    Das gilt natürlich auch für Theorien über das Seelenleben und spirituelle Konzepte. So ist in der Psychotherapie das Phänomen bekannt, dass sich die Symbole und Inhalte der Träume von Klienten an den jeweiligen Konzepten ihrer Therapeuten orientieren. Ganz besonders zum Tragen kommen diese Einflussfaktoren, wenn es um das Verstehen religiöser bzw. spiritueller Erfahrungen geht. Auch wenn manche Erlebnisse, wie das Gefühl der Einheit, Erfahrungen von universeller Liebe oder Demut, in allen Weltreligionen vorkommen, so werden doch spezifische Bilder und Symbole mit einfließen. In veränderten Bewusstseinszuständen kann ein Katholik plötzlich von einem Pfingsterweckungserlebnis überrascht werden, während ein Buddhist in der Begegnung mit Buddha sich ähnlich tief berührt fühlen kann wie ein Schamane, der gerade sein Krafttier gefunden hat. Allerdings darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, dass jemand manchmal auch Symbolen, Gestalten oder Botschaften begegnet, die nicht aus seinem Lebenshintergrund heraus zu erklären sind. Hier kommt man an eine Nahtstelle, an der Persönliches zum Kollektiven hin transzendiert wird. Diese Tendenzen, die die Selbsterkenntnis mitformen, können nicht ausgeschaltet werden, sollten jedoch bewusst miteinbezogen werden, wenn man die introspektiven Erkenntnisse auf ihre Relevanz hin beurteilen möchte. Wenn solche Einschränkungen bewusst sind, können sie besser losgelassen werden, so dass sich der Blick nach innen vertiefen kann.

Ebenen der Innenschau
    An der Innenschau, einer besonderen Art erforschender Beziehung zu mir selbst, sind die Sinnesorgane, das Empfindungsvermögen, die kognitiven Werkzeuge, das Spürbewusstsein und die Sinnerfassung beteiligt. Ich trete zu mir in Kontakt und erlaube dem, was in mir passiert, sich so zu zeigen, dass ich es wahrnehmen kann. Dafür ist es erforderlich, dass ich innehalte und das, was unwillkürlich in mir abläuft, bewusst wahrnehme. Dann kann ich meine Aufmerksamkeit auf das richten, worüber ich mehr wissen will, oder einfach weiter registrieren, was in mir passiert. In der Innenschau wende ich somit den Fokus meiner Aufmerksamkeit oder meines Spürbewusstseins auf meine inneren Ereignisse. Nehmen wir für einen Moment wahr, was an diesem Akt beteiligt ist, so ist es unser Bewusstsein, das Spüren und Empfinden, das Fühlen und das Denken. Gegenwärtig werden uns dabei körperliche Zustände, Stimmungen, Bilder, Atmosphären, Feststellungen, Fragen etc.
    Es ist die Resonanz auf das, wie ich bin und was ich tue. Dadurch erlange ich mehr Bewusstheit über mich. Dabei kann ich mehr über die Art und Weise herausfinden, wie ich lebe, wie ich geworden bin, was ich fühle und denke oder wozu ich fähig bin.
    Selbsterkenntnis ist ein Persönlichkeit bildendes und Persönlichkeit schaffendes Element.
    Aber auch Sinnfragen und Entscheidungen können durch die Innenschau vorbereitet werden. Sobald ich mit mir in Resonanz gehe, öffne ich mich dem, was in mir ist, und vertiefe gleichzeitig die Beziehung zu mir. Wenn sich die Fähigkeit zur Innenschau im Laufe der Zeit immer mehr verfeinert und der Blick klarer wird, kann man adäquater auf problematische Situationen reagieren. So fällt es in einem psychotherapeutischen Erstgespräch wesentlich schwerer, die Frage »Wie fühlt sich die Beziehung zu Ihrem Vater an?« zu stellen als nach einigen

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