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Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes

Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes

Titel: Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvester Walch
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verurteilen. Dabei können sich Zustände von Ausweglosigkeit, Kälte oder Leere einstellen. Vielleicht ist es ähnlich wie in Träumen, die sowohl angenehme wie auch schwierige Sequenzen beinhalten können, je nachdem, in welcher psychischen Situation wir uns gerade befinden. Der Unterschied ist vielleicht, dass sich nun alles auf einmal ungefiltert in das Bewusstsein Eintritt verschafft. Das kann bedeuten, dass erst Schattenaspekte, die sich in Halluzinationen äußern, konfrontierend erlebt und Projektionen integriert werden müssen, um sich für eine größere Wirklichkeit zu öffnen. Von der Psychotherapie weiß man, dass unaufgearbeitete Anteile der Seele die Wahrnehmung entscheidend verengen können. Wenn die Abwehrstrategien des Ich nur noch unzulänglich funktionieren, strömen verdrängte seelische Inhalte unkontrolliert von der Peripherie des Unbewussten ins Zentrum des Bewusstseins. Eine jähe Konfrontation mit dem Tod öffnet demnach unvermittelt die inneren Begrenzungen, weil gewohnte Lebenskonzepte und vertraute Bewältigungsmuster nicht mehr regulierend eingreifen können.
    Die individuellen Eindrücke sind natürlich auch subjektiv gefärbt. Lichtwesen, Höllenvisionen oder Bewertungen werden auf dem Hintergrund sozialisierter Bilder, Einstellungen und Überzeugungen gedeutet sowie mit den herkömmlichen Glaubensvorstellungen verknüpft.
    Ferner äußert sich im Sterben die Art und Weise, wie ich gelebt habe. So könnte sich jemand, der sein Leben lang geizig war, von Einbrechern bedroht fühlen, die ihm Hab und Gut entreißen wollen. Diese Konfrontationen sind eminent wichtig, denn sie lösen alte Muster auf. In diesem Zusammenhang möchte ich besonders den oft beschriebenen Lebensfilm hervorheben, bei dem wichtige biographische Stationen wie in einem Film vor dem inneren Auge ablaufen. In diesem Lebensrückblick treten bedeutsame Erinnerungen, rasch aufeinanderfolgend, in den Vordergrund. Dabei werden frühere Einstellungen oder Handlungen neu bewertet und Alternativen aufgezeigt. Liebevolle Verhaltensweisen wurden von angenehmen Gefühlen begleitet; bei destruktiven Reaktionen traten plötzlich die Gefühle der damals Betroffenen auf, wie etwa Trauer, Schmerz oder Wut. Die Lebensrückschau wird in den meisten Fällen nicht als unangenehm erlebt, sondern als neue Chance gesehen, die zu heilsamen Effekten führen kann: Dazu gehört etwa die Versöhnung mit bisherigen Feinden, die Auseinandersetzung mit eigenen Schattenaspekten und ein achtsamerer Umgang mit sich selbst und mit anderen. Nur wer sich aufrichtig mit seinem bisherigen Leben auseinandersetzt, kann es neu ordnen.
    Suizidgefährdete versicherten, dass sie sich keinesfalls mehr umbringen wollen, weil sie sich mehr denn je mit dem Leben verbunden fühlen. Die Erfahrung, fast zu sterben, ist für Außenstehende oft dramatischer als für den Erlebenden selbst. Häufig, wenn Menschen ihre Nahtoderfahrungen anderen erzählen, stoßen sie auf Unverständnis. Einmal ist es nicht leicht, die richtigen Worte zu finden, und zum anderen stoßen sie an die Grenzen der gewöhnlichen Denkschemata, so dass die Berichte von Außenstehenden meistens inadäquat aufgenommen werden. Natürlich gelangen wir auch in einen zweifelbehafteten Grenzbereich unseres Wissens, wenn von einem Prozess gesprochen wird, der uns erst dann wirklich zugänglich ist, wenn wir nichts mehr darüber aussagen können. Letzte Unsicherheiten werden sich deshalb niemals ausräumen lassen.
    Auch wenn die empirische Gültigkeit von Nahtoderfahrungen nicht vollständig nachgewiesen werden kann, fällt auf, dass sie bei den meisten Betroffenen zu einer nachhaltigen Veränderung des Lebens führten. Sie fühlten sich offener, liebevoller, gelassener und achtsamer. Spirituelle Themen traten mehr in den Vordergrund, während materielle Güter und Prestige verzichtbarer wurden. Wenn die Blockaden aufgelöst werden, wird der Mensch für das Universale durchlässiger, und die Angst vor dem Tode wird abgebaut. Dadurch nimmt auch das Vertrauen in die Intuitionen zu, weil das Leben, so wie es ist, gewürdigt werden kann. Während das Mitgefühl für die Welt stärker in den Vordergrund tritt, lässt das Interesse an materiellen Besitztümern nach.
    In der Todesnähe haben wir eine großartige Chance zur Transformation und zum spirituellen Erwachen, weil sich eine Tür zu unserem Wesenskern und der Essenz des Daseins öffnet. Wir müssen nur hindurchgehen und bereit sein, dann werden wir im

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