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Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes

Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes

Titel: Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvester Walch
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Verantwortung für Handlungen, die er im Nachhinein als Fehler ansah. Die Konfrontation mit Schattenaspekten löste innere Widerstände und entkrampfte die gesamte Situation. So ergriff eine liebevolle und öffnende Atmosphäre alle Anwesenden. In Todesnähe, wenn der Mensch noch Wandlung und Reifung zulassen kann, fügt sich die Gesamtsituation zu einem harmonischen Ganzen zusammen, in dem eine andere Dimension spürbar wird. Einen Tag nachdem sein zweiter Urenkel geboren wurde, den er unbedingt noch sehen wollte, verstarb er friedlich und mit einem Lächeln auf dem Gesicht, obwohl er durch seine schwere Krankheit intensive Schmerzzustände durchleiden musste.
    Wenn wir den Sterbenden unaufdringlich dabei unterstützen, abgespaltene Gefühle wahrzunehmen, lange Unausgesprochenes mitzuteilen, biographische Erfahrungen zu integrieren, Bilanz zu ziehen, Konflikte zu bereinigen und womöglich Menschen um Verzeihung zu bitten, mit denen noch Schuldhaftes abzutragen ist, dann kann auch besser gewürdigt werden, was im Leben gut gelaufen ist. Es ist also wichtig, mit den Menschen über das Sterben zu sprechen und eine gute Atmosphäre für den Übergang zu schaffen. Zum Beispiel können entspannende Musik sowie eine insgesamt meditative Stimmung dazu beitragen. Wenn der Begleiter dem auftauchenden Material und der seelischen Dynamik bewertungsfrei und verständnisvoll begegnet – insbesondere dann, wenn der Sterbende die Situation nicht wahrhaben will und sich Feilschen, Zorn und Kampf einstellen –, kann eine integrierende Lebensüberschau möglich werden. Dabei ist es wichtig, ähnlich wie in der Psychotherapie, sich partnerschaftlich zu verhalten, sich am Verlauf zu orientieren und auf keinen Fall Ratschläge von oben herab zu geben. Durch die natürliche Lockerung der psychischen Abwehr werden Inhalte des Unbewussten so stark mobilisiert, dass sie ins Bewusstsein drängen; so können sich archetypische Bilder, wie etwa das Erfasstwerden von einem Strudel oder einer stürmischen Meereswelle, mit persönlichen Szenen, wie dem Erleben von Schmerz durch Misshandlungen, in rascher Abfolge mischen. Dabei ist es ratsam, den Sterbenden alles ausdrücken zu lassen, was sich zeigen möchte, und dabeizubleiben, ohne es zu dramatisieren. Wir wissen aus der therapeutischen Praxis, dass später nur das wirklich losgelassen werden kann, was zunächst in seinem Sosein anerkannt, erlebt und gewürdigt wurde. Körperkontakt, wie zum Beispiel das Halten der Hand, kann zudem Sicherheit vermitteln, das Durchgehen erleichtern und das Vertrauen in den Prozess stärken.

    In Todesnähe kann es auch zu sonderbaren Energiephänomenen kommen. Kriegerwitwen haben immer wieder davon erzählt, wie in der Todesstunde ihrer Ehemänner Fotos von der Wand fielen, Spiegel zerbarsten, die Uhren stehenblieben oder plötzliche Klopfgeräusche im Hause zu hören waren. Auch bei Unfällen gibt es oft Stimmungen und Vorahnungen. Ein Mann, der vormittags von zu Hause zu einem einstündigen Panoramarundflug aufbrach, zu dem er von Freunden eingeladen worden war, verabschiedete sich von Ehefrau und Kindern in so seltsamer und eindringlicher Weise, als wäre es für immer. Kurz darauf stürzte das Flugzeug ab, und er kam dabei ums Leben.
    Der veränderte Bewusstseinszustand in der Todesnähe setzt ungeheure Kräfte frei. Es ist wichtig, mit der Energie zu gehen, um den nächsten Schritt zu ermöglichen. Es kann sich wie eine Geburt in eine neue Identität anfühlen, bei der wir bei uns selbst und in der Tiefe unseres Herzens ankommen. Zwei einfache Fragen können uns verdeutlichen, welche Klarheit dem Leben gegenüber entsteht, wenn wir an den Tod denken:
1. Für einen Augenblick nehmen Sie bitte eine entspannte Haltung ein, schließen die Augen und lassen den Atem etwas tiefer werden. Vielleicht bemerken Sie, wie Sie dabei etwas stiller werden und mehr nach innen spüren.
 
2. Nun erlauben Sie mir, zwei Fragen zu stellen, und Sie registrieren einfach, welche Antworten dazu spontan aufsteigen:
Wenn ich morgen sterben würde, was täte mir leid, nicht gelebt zu haben?
Wenn ich morgen sterben würde, was würde ich heute noch in Ordnung bringen?
Nun kommen Sie bitte mit Ihrer Aufmerksamkeit wieder zurück.
    Wie immer Ihre Antworten im Einzelnen ausfallen, Sie werden versucht haben, für Sie Wichtiges von Nachrangigem zu unterscheiden. Wenn ich diese Übung bei Vorträgen durchführe, bemerken die meisten, dass sie zu oberflächlich leben, sich in

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