Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes
Wirklichkeiten, sind wir nicht unabhängig, sondern mit dem verbunden, was uns hervorbringt und wohin wir gehen: dem Einen. Das Eine wirkt auf uns ein, überdauert uns, durchdringt uns und geht über uns hinaus. Es ist somit größer und weiter als unsere physisch-personale Existenz. Wenn wir im Sterben loslassen, fallen wir in das All-Eine, und das ist wie eine Neugeburt, in der wir realisieren, wer wir wirklich sind.
Für das Christentum ist dies die Befreiung zum ewigen Leben. Zur Vollkommenheit des Lebens gehört somit das Sterben, weil es den direkten Kontakt zum letzten Prinzip, zu Gott, herstellt, wie Jesus nach der Auferstehung verkündete. Das ist auch die Botschaft anderer Religionen. Wer sich gegen den Tod wendet, wendet sich gegen die Auferstehung, gegen Wachstum und Verwandlung, letztlich gegen die Wirklichkeit des All-Einen, die sich durch das Leben zur Geltung bringt.
Andere Bezeichnungen für diese Wirklichkeit sind: Buddha, Allah, die Essenz, das Selbst, das All-Eine, das Mysterium, das Implizite, das Tragende, das Verbindende, das Seiende, der Urgrund, das Unergründliche, OM. Es ist alles und nichts, jenseits von allem und in allem, durchdringend, pulsierend, umgreifend, tragend, zeitlos, grenzenlos, Ursache und Wirkung, innere Weisheit, nondual, führend, unterstützend, öffnend, allgegenwärtig, implizit, raumübergreifend.
Leben ist Geburt und Tod, Verwandlung und Werden. In jedem Augenblick stirbt etwas in uns und wird etwas wiedergeboren. Das ist der Lauf des Lebens und der Rhythmus des Daseins. Dem steht jedoch das oberflächliche Bedürfnis entgegen, im Äußerlichen statt in uns selbst Sicherheit zu finden. So wollen wir festhalten, was uns aus den Händen gleitet, und aufbewahren, was gehen möchte. Wir müssen loslassen und uns anvertrauen lernen, dann geschieht alles zu unserem Besten. Wenn im Sterben Ballast abgeworfen wird, können die Fesseln gelöst werden. Das führt zunächst zu einer großen Verunsicherung, weil die gewohnten Sicherheitsanker nicht mehr greifen und wir dem, was dann auf uns zukommt, noch nicht vertrauen können.
Wenn wir im Leben sterben lernen, überwinden wir die Angst aller Ängste, die Todesangst und das Gefühl des Geworfenseins. Dies ist der Kern der Verunsicherung, die dem Dasein von Anbeginn an innewohnt. Keine Angst sitzt tiefer als die vor Vernichtung, Auslöschung, Ohnmacht und Zerstörung. Wenn wir durch einen dunklen Wald gehen, ist es nicht der Wald, der uns Angst macht, sondern dass wir um unser Leben fürchten. In der Todesangst fühlen wir uns vom Urgrund des Seins getrennt, ausgeliefert und ohnmächtig. Es ist die künstliche Spaltung zwischen dem Ich, Du und Es, die die Angst vor dem Tode bedingt. Erst wenn wir sie aufheben, können wir zurückkehren. Den Schlüssel zu einem befreiten und furchtlosen Leben finden wir nur in dem Gewahrwerden des Sterbens, das uns in die Tiefe unseres Wesens führt, also zu uns selbst, dorthin, wo wir mit allem verbunden sind. Die Todeserfahrung von Muktananda steht dafür beispielhaft:
»So wie ein sterbender Mensch seinen Mund öffnet, seine Arme ausbreitet und einen seltsamen Laut von sich gibt, so fiel ich nieder und machte dieses Geräusch. Als ich fiel, urinierte ich unwillkürlich, was mir das Gefühl gab, dass ich völlig das Bewusstsein verloren hatte. Ungefähr eine Stunde oder anderthalb Stunden lag ich in diesem unbekannten Bewusstseinszustand, und dann erhob ich mich, so wie ein Mensch vom Schlaf aufsteht, lachte und sagte zu mir: Ich bin gerade gestorben, aber jetzt bin ich wieder lebendig. Ich stand auf, fühlte mich sehr friedvoll, sehr glücklich und ganz voller Liebe. Mir wurde klar, dass ich den Tod erfahren hatte, als ich das unmanifestierte göttliche Strahlen sah, das so hell wie Millionen Sonnen war. Ich hatte sehr große Angst gehabt, aber aus dieser Erfahrung verstand ich jetzt den Tod. Ich erkannte, dass Tod nichts weiter als dieser Zustand ist. Nachdem ich einmal diese Kugel von unmanifestiertem Licht gesehen hatte, verlor ich alle Furcht. Das ist der Zustand der Befreiung vom individuellen Dasein. Seitdem ist mein Mut sehr gewachsen, und ich kenne keinerlei Furcht mehr. Ich habe vor nichts Angst. Ich denke nie daran, was geschehen wird. Ich mache mir keine Sorgen, was ein anderer tun wird. Der Ort der Furcht in mir ist zerstört worden. Ich habe völlige Furchtlosigkeit erlangt.« (Muktananda, 1986, S. 217 f.)
Übungen zum Loslassen und Sterben
Die Bewusstheit des Todes spielt
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