Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes
Kleinlichkeiten verzetteln und im Alltag nicht mehr spüren können, was sie wirklich wollen. Psychosomatische Erkrankungen, Erschöpfungszustände und Süchte sind häufig die Folge.
Allein der Gedanke ans Sterben wirkt zentrierend und öffnet den Blick nach innen. Dabei wird klar, welche Prioritäten zu setzen sind und welche Werte letztendlich die innere Entwicklung fördern.
Menschen, die dem Sterben nahe waren und wieder ins Leben zurückkehrten, veränderten radikal ihren Lebensstil. So hat in den späten achtziger Jahren die Nahtodforschung mit eindrucksvollen Aussagen Aufsehen erregt. Nahtoderfahrungen (NTE) wurden von Menschen berichtet, die fast gestorben oder vielleicht schon klinisch tot waren und wiederbelebt wurden, wie etwa beim Ertrinken, bei Abstürzen, bei Autounfällen oder im Verlauf chronischer Krankheiten. Die Erfahrungsinhalte in Todesnähe wiesen eine ähnliche Struktur auf. Trotz kultureller Differenzen oder unterschiedlicher Sozialisation erlebten sie eine oder mehrere typische Sequenzen: Sie hörten Geräusche wie Dröhnen, Knacken, Brausen oder Pfeifen und erlebten, wie sie reanimiert wurden oder wie von anderen Menschen über ihren Tod gesprochen wurde. In außerkörperlichen Zuständen sahen sie sich von oben, an der Unfallstelle oder im Operationssaal, und konnten danach häufig Umstände oder objektive Ereignisse wie die Anzahl der Anwesenden oder Handlungsabläufe situationsgetreu wiedergeben. Im außerkörperlichen Zustand wird auch von einem feinstofflichen Leib berichtet, den man sich wie eine Wolke – eine ätherische Hülle – vorstellen kann, ohne die Dichte, Festigkeit und die Bindeenergien des materiellen Leibes. Es ist eine Art Energiefeld: schwerelos dahintreibend, blitzartig schnell vorwärtskommend sowie Distanzen und feste Gegenstände mühelos überwindend. Die physischen Funktionskreise werden anscheinend nicht mehr gebraucht. Gedanken anderer werden, unabhängig von den Sinnesorganen, schnell aufgenommen, und die gesamte Kapazität ist gegenüber dem Normalzustand gesteigert.
Sie begegneten verstorbenen Verwandten, Freunden oder Lichtwesen, von denen sie empfangen und liebevoll begleitet wurden, wie auch von einer Klientin mitgeteilt wurde:
»Während ich mich weitertragen lasse, merke ich, dass mich mein spiritueller Meister bei der Hand nimmt, gemeinsam geht er mit mir ins blaue Licht …«
Sie sahen einen Tunnel oder einen dunklen Kanal, durch den sie mussten, eine Grenze, Schranke oder einen Fluss, die sie zu überqueren hatten. Danach kam es zu Lichtvisionen und Liebesgefühlen. Sie erlebten sich lebendiger, freudiger, zugehöriger und friedvoller als sonst im Leben.
Die Totenbücher enthalten ähnliche Ausführungen über den Zwischenzustand (den Bardo des Todes) und den Übergang. Sie beinhalten auch Anweisungen, wie man diesen Prozess am besten bewältigt, sind jedoch auch als spirituelle Hilfe für die Lebenden zu verstehen. Im tibetischen Totenbuch (vgl. Sogyal, 1994) wird der Sterbende von dem klaren Urlicht der reinen Wirklichkeit (Dharmakaya) eingehüllt, das die bedingungslose Leerheit oder die wahre Natur des Seins repräsentiert. Im Augenblick des Todes, nachdem der Sterbende sein Bewusstsein freigegeben hat, kann er unter Umständen mit dem Weisheitsgeist verschmelzen. Alles erscheint dann in vollkommener Klarheit, in der die Dualität überschritten ist, ähnlich dem Zustand fortgeschrittener Meditierender.
Todeserfahrungen im Holotropen Atmen können zu ähnlichen Visionen führen:
»Ich werde auf einem Brett von tibetischen Mönchen getragen. Mein Körper ist ganz leicht. Die Mönche singen. Es ist eine Verabschiedung. Ich sehe eine Frau, die sehr weint, und mich selbst als toter tibetischer Mönch auf dem Brett liegen. Dann werde ich verbrannt. Ich spüre das Feuer in meinen Rücken, es ist nicht unangenehm. Ich spüre auch, wie meine Knochen sich während des Verbrennens biegen. Alles weitet sich, mein Körper fühlt sich noch leichter an. Ich komme ins Licht. Es ist ein ganz tolles und behagliches Gefühl.«
Aber nicht nur angenehme Zustände wurden berichtet, sondern auch Erfahrungen von Höllenvisionen, grauenhaften Dämonen, Überlebenskämpfen, von Vernichtung, Kapitulation, Verfolgt- oder Verschlungenwerden, Einsamkeit und Verlassenheit, die vor allem im Stadium der Losreißung auftreten. In der Tunnelphase kann es zu schreckhaften Begegnungen mit finsteren Gestalten kommen, die den Betroffenen bedrohen, angreifen oder
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