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Vom Ende einer Geschichte

Vom Ende einer Geschichte

Titel: Vom Ende einer Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes , Pößneck GGP Media GmbH
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bist du so sicher, dass du es haben willst?«
    »Es ist Adrians Tagebuch. Er ist mein Freund. Er war mein Freund. Es gehört mir.«
    »Wenn dein Freund gewollt hätte, dass du sein Tagebuch bekommst, hätte er es dir vor vierzig Jahren vermachen und den Mittelsmann ausschalten können. Oder die Mittelsfrau.«
    »Ja.«
    »Was glaubst du, was darin steht?«
    »Ich habe keine Ahnung. Es gehört einfach mir.« In dem Moment erkannte ich einen weiteren Grund für meine Entschlossenheit. Das Tagebuch war Beweismaterial; es war – vielleicht – eine Bestätigung. Es könnte die trivialen Wiederholungen der Erinnerung durchbrechen. Es könnte etwas in Gang setzen – auch wenn ich keine Ahnung hatte, was.
    »Nun ja, du kannst immer noch herausfinden, wo die Zimtschnecke wohnt. Facebook, Telefonbuch, Privatdetektiv. Geh hin, klingle an ihrer Tür, verlange dein Eigentum.«
    »Nein.«

    »Bleibt nur noch Einbruch«, meinte sie fröhlich.
    »Du machst Witze.«
    »Dann lass es. Es sei denn, du schleppst, wie man so schön sagt, noch ein Päckchen aus deiner Vergangenheit mit dir herum, und das musst du aufschnüren, sonst kommst du nicht weiter. Aber das sieht dir doch gar nicht ähnlich, Tony?«
    »Nein, ich glaube nicht«, antwortete ich vorsichtig. Weil ich mich allmählich fragte, ob, Psychoquatsch beiseite, nicht doch etwas dran war. Schweigen. Unsere Teller wurden abgeräumt. Margaret durchschaute mich mühelos.
    »Es ist schon rührend, dass du so stur bist. So kann man wohl auch dafür sorgen, dass einem nicht alles entgleitet, wenn man in unser Alter kommt.«
    »Ich glaube, vor zwanzig Jahren hätte ich auch nicht anders reagiert.«
    »Möglicherweise nicht.« Sie winkte, um sich die Rechnung bringen zu lassen. »Aber ich will dir eine Geschichte von Caroline erzählen. Nein, du kennst sie nicht. Sie ist eine Freundin aus der Zeit nach unserer Trennung. Sie hatte einen Mann, zwei kleine Kinder und ein Au-pair-Mädchen, dem sie nicht ganz traute. Sie hegte keinen furchtbaren Verdacht oder so. Das Mädchen war meistens höflich, die Kinder beklagten sich nicht. Caroline hatte nur das Gefühl, dass sie eigentlich nicht wusste, wem sie ihre Kinder anvertraute. Darum bat sie eine Freundin – nein, nicht mich – um Rat. ›Durchsuche ihre Sachen‹, sagte die Freundin. ›Was?‹ ›Na, das beschäftigt dich doch offenbar. Warte ihren freien Abend ab, guck dich in ihrem Zimmer um, lies ihre Briefe. So würde ich das machen.‹ Also durchsuchte Caroline am nächsten freien Tag die Sachen des Au-pair-Mädchens.Und sie fand ein Tagebuch. Und las es. Und da standen alle möglichen Schmähungen wie ›Ich arbeite für eine blöde Kuh‹ und ›Der Mann ist okay – hab ihn dabei erwischt, wie er mir auf den Hintern guckt – aber die Frau ist eine dämliche Tussi.‹ Und ›Weiß sie überhaupt, was sie den armen Kleinen antut?‹ Da standen ein paar unheimlich dicke Klöpse drin.«
    »Und dann?«, fragte ich. »Hat sie das Au-pair-Mädchen gefeuert?«
    »Tony«, sagte meine Exfrau, »darum geht es doch gar nicht.«
    Ich nickte. Margaret prüfte die Rechnung nach, indem sie mit dem Rand ihrer Kreditkarte die einzelnen Posten entlangfuhr.
    Zwei andere Sachen, die sie im Laufe der Jahre gesagt hat: Dass es Frauen gibt, die überhaupt nicht mysteriös sind, sondern nur durch die Unfähigkeit der Männer, sie zu verstehen, dazu gemacht werden. Und dass man Zimtschnecken, ihrer Meinung nach, in einer Blechdose mit dem Kopf der Königin darauf unter Verschluss halten sollte. Dieses Detail aus meinem Bristoler Leben hatte ich ihr offenbar auch erzählt.
    Etwa eine Woche verging, und Bruder Jacks Name erschien wieder in meiner Mailbox. »Hier ist Veronicas E-Mail, aber nicht verraten, dass du sie von mir hast. Teufels Küche und so weiter. Denk an die 3 weisen Affen – nichts Böses sehen, nichts Böses hören, nichts Böses sagen. Ist jedenfalls meine Devise. Blauer Himmel, gute Sicht auf Sydney Harbour Bridge oder doch beinah. Ah, hier kommt meine Rikscha. Grüße, John F.«
    Ich war überrascht. Von ihm hätte ich mir keine Hilfe erwartet. Aber was wusste ich schon von ihm und seinemLeben? Nur das, was ich aus Erinnerungen an ein längst vergangenes schlechtes Wochenende extrapoliert hatte. Ich war immer davon ausgegangen, dass er durch Herkunft und Erziehung einen Vorteil vor mir hatte und diesen bis zum heutigen Tag mühelos wahren konnte. Ich erinnerte mich, wie Adrian gesagt hatte, er habe in einer Studentenzeitschrift von

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