Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vom Ende einer Geschichte

Vom Ende einer Geschichte

Titel: Vom Ende einer Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes , Pößneck GGP Media GmbH
Vom Netzwerk:
ich notwendig?
    Ich saß da und wartete. Ich wünschte, ich hätte diese Gratiszeitung nicht in der Bahn liegen lassen. Ich überlegte, warum ich nicht mit dem eigenen Auto hergefahren war. Vielleicht weil ich die hier geltenden Parkregelungen nicht kannte. Ich wollte einen Schluck Wasser trinken. Außerdem wollte ich pinkeln. Ich ließ das Fenster herunter. Diesmal hatte Veronica keine Einwände.
    »Guck.«
    Ich guckte. Auf dem Bürgersteig kam ein Grüppchen von Leuten auf meine Seite des Autos zu. Ich zählte fünf. Vorne ging ein Mann, der trotz der Hitze mehrere Lagen schweren Tweed trug, unter anderem eine Weste und eine Art Sherlock-Holmes-Hut. Jacke und Hut waren über und über mit Blech-Ansteckern bedeckt, dreißig oder vierzig schätzungsweise, von denen manche in der Sonne glitzerten; an den Westentaschen hing eine Uhrkette. Seine Miene war heiter: Er sah aus wie jemand mit einer unklaren Funktion bei einem Zirkus oder auf einem Rummelplatz. Hinter ihm kamen zwei Männer: Der erste hatte einen schwarzen Schnurrbart und einen wiegenden Gang; der zweite war klein und missgebildet, eine Schulter war viel höher als die andere – er blieb kurz stehen und spuckte in einen Vorgarten. Und hinter den beiden folgte ein großer, stumpfsinniger Kerl mit einer Brille, der eine pummelige, indisch aussehende Frau an der Hand hielt.
    »Kneipe«, sagte der Schnurrbärtige, als alle beisammen waren.

    »Nein, nicht Kneipe«, erwiderte der Ansteckermann.
    »Kneipe«, beharrte der Erste.
    »Laden«, sagte die Frau.
    Alle sprachen sehr laut, wie Kinder, die gerade aus der Schule kommen.
    »Laden«, wiederholte der Schiefe und spuckte sacht in eine Hecke.
    Ich guckte so aufmerksam ich konnte, denn das war mir aufgetragen worden. Meiner Meinung nach mussten sie alle zwischen dreißig und fünfzig sein, hatten aber zugleich etwas Unveränderliches, Altersloses an sich. Außerdem eine erkennbare Ängstlichkeit, die noch deutlicher zutage trat durch die Art, wie das hintere Paar Händchen hielt. Das sah nicht nach Verliebtheit aus, eher nach Schutz vor der Welt. Sie gingen in einiger Entfernung an uns vorüber, ohne das Auto zu beachten. Ein paar Meter hinter ihnen kam ein junger Mann in kurzer Hose und offenem Hemd; ich wusste nicht recht, ob das ihr Betreuer war oder ob er nichts mit ihnen zu tun hatte.
    Lange herrschte Schweigen. Anscheinend musste ich die ganze Arbeit allein tun.
    »Und?«
    Sie gab keine Antwort. Vielleicht war die Frage zu allgemein.
    »Was ist mit denen los?«
    »Was ist mit dir los?«
    Das schien mir keine sachdienliche Antwort zu sein, trotz des scharfen Tons. Also fragte ich weiter.
    »Gehörte der junge Mann zu ihnen?«
    Schweigen.
    »Sind die in der offenen Betreuung oder so?«
    Mein Kopf knallte nach hinten an die Kopfstütze, weilVeronica plötzlich die Kupplung kommen ließ. Sie raste um ein, zwei Ecken, jagte den Wagen über Bodenschwellen, als wäre er ein Springpferd. Ihre Handhabung der Gangschaltung oder deren Nichthandhabung war fürchterlich. Das ging etwa vier Minuten so, dann schoss sie auf einen freien Parkplatz, wobei sie mit dem linken Vorderrad auf den Bordstein fuhr und dann den Wagen wieder herunterkrachen ließ.
    Ich ertappte mich bei dem Gedanken: Margaret war immer eine gute Fahrerin. Sie fuhr nicht nur vorsichtig, sie behandelte das Auto auch anständig. Als ich vor langer Zeit meinen Führerschein machte, hatte mein Fahrlehrer mir erklärt, man solle beim Schalten Kupplung und Schalthebel so leicht und unmerklich betätigen, dass sich der Kopf des Beifahrers nicht einen Zentimeter auf der Wirbelsäule bewegt. Das hatte mich sehr beeindruckt, und ich habe es oft bemerkt, wenn ich bei anderen mitfuhr. Wenn ich mit Veronica zusammenlebte, hätte ich fast jede Woche zum Chiropraktiker gemusst.
    »Du kapierst wohl gar nichts, was? Hast du nie und wirst du auch nie.«
    »Ich bekomme nicht gerade viel Hilfe.«
    Dann sah ich die Leute – wer immer sie sein mochten – auf mich zukommen. Das war der Sinn dieses Manövers gewesen: sie wieder zu überholen. Wir standen neben einem Geschäft und einem Waschsalon, und auf der anderen Straßenseite war eine Kneipe. Der Mann mit den Ansteckern – der »Anreißer«, nach dem Wort hatte ich gesucht, der fröhliche Kerl am Eingang einer Jahrmarktsbude, der dich dazu bringen will, einzutreten und dir die bärtige Dame oder den Panda mit den zwei Köpfen anzusehen – war immer noch vorneweg. Die anderen vier umringten jetzt den jungen Mann in

Weitere Kostenlose Bücher