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Vom Ende einer Geschichte

Vom Ende einer Geschichte

Titel: Vom Ende einer Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes , Pößneck GGP Media GmbH
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kurzer Hose,also gehörte er wahrscheinlich zu ihnen. Irgendein Sozialarbeiter. Ich hörte ihn jetzt sagen:
    »Nein, Ken, keine Kneipe heute. Freitags ist Kneipenabend.«
    »Freitags«, wiederholte der Schnurrbärtige.
    Ich hatte gesehen, dass Veronica ihren Sicherheitsgurt abgenommen hatte und die Tür aufmachte. Als ich dasselbe tun wollte, sagte sie:
    »Bleib da.« Als wäre ich ein Hund.
    Die Debatte ob Kneipe oder Laden war noch im Gange, als einer aus der Gruppe Veronica bemerkte. Der Tweedmann nahm seinen Hut ab und hielt ihn an sein Herz, dann verbeugte er sich vom Nacken aus. Der Schiefe hüpfte auf der Stelle auf und ab. Der Schlaksige ließ die Hand der Frau los. Der Sozialarbeiter lächelte und streckte Veronica die Hand entgegen. Gleich darauf war Veronica von gutmütigen Belagerern umringt. Die indische Frau hielt jetzt Veronicas Hand, und der Mann, der in die Kneipe wollte, lehnte den Kopf an ihre Schulter. Veronica schienen diese Aufmerksamkeiten überhaupt nichts auszumachen. Ich sah sie zum ersten Mal an diesem Nachmittag lächeln. Ich versuchte zu verstehen, was sie sagten, aber es waren zu viele Stimmen durcheinander. Dann sah ich, wie Veronica sich umdrehte, und hörte sie sagen:
    »Bald.«
    »Bald«, wiederholten zwei oder drei von ihnen.
    Der Schiefe hüpfte noch weiter auf der Stelle herum, der Schlaksige setzte ein breites, stumpfsinniges Lächeln auf und rief »Tschüss, Mary!«. Sie wollten ihr zum Auto folgen, dann bemerkten sie mich auf dem Beifahrersitz und blieben abrupt stehen. Vier von ihnen begannen zum Abschied wie wild zu winken, während der Tweedmann sich beherzt meiner Seite des Autos näherte. Den Hut hielt er weiterhin fest ans Herz gedrückt. Die andere Hand streckte er durch das Autofenster, und ich schüttelte sie.
    »Wir gehen in den Laden«, erklärte er mir würdevoll.
    »Was kauft ihr denn da?«, fragte ich ebenso feierlich.
    Das verblüffte ihn, und er dachte eine Weile darüber nach.
    »Was wir so brauchen«, antwortete er schließlich. Er nickte vor sich hin und fügte hilfsbereit hinzu: »Konsumgüter.«
    Dann machte er seine förmliche kleine Nackenverbeugung, drehte sich um und setzte den von Ansteckern schweren Hut wieder auf.
    »Scheint ein sehr netter Kerl zu sein«, bemerkte ich.
    Aber sie legte mit einer Hand den Gang ein und winkte mit der anderen. Ich merkte, dass sie schwitzte. Ja, es war ein heißer Tag, aber trotzdem.
    »Die haben sich alle sehr gefreut, dich zu sehen.«
    Ich erkannte, dass ich sagen konnte, was ich wollte, sie würde nicht darauf antworten. Und dass sie wütend war – bestimmt auf mich, aber auch auf sich selbst. Ich kann nicht behaupten, ich hätte das Gefühl gehabt, irgendwas Falsches getan zu haben. Ich wollte schon den Mund aufmachen, da sah ich, dass sie mit dem Auto auf eine Bodenschwelle losfuhr, ohne auch nur im Geringsten abzubremsen, und mir fiel ein, dass ich mir beim Aufprall womöglich die Zungenspitze abbeißen würde. Darum wartete ich, bis wir die Schwelle sicher überwunden hatten, und sagte dann:
    »Ich möchte wissen, wie viele Anstecker der Mann hat.«
    Schweigen. Bodenschwelle.

    »Wohnen die alle im selben Haus?«
    Schweigen. Bodenschwelle.
    »Also freitags ist Kneipenabend.«
    Schweigen. Bodenschwelle.
    »Ja, wir waren zusammen in Minsterworth. Es war eine mondhelle Nacht.«
    Schweigen. Bodenschwelle. Jetzt bogen wir in die Hauptstraße ein, und soweit ich mich erinnerte, war da nichts als flacher Asphalt zwischen uns und dem U-Bahnhof.
    »Das ist eine ausgesprochen interessante Gegend.« Ich dachte, vielleicht schaffe ich es, wenn ich sie ärgere – was immer ich zu schaffen hoffte. Das Verfahren, sie wie eine Versicherungsgesellschaft zu behandeln, gehörte längst der Vergangenheit an.
    »Ja, du hast recht, ich sollte bald wieder zurückfahren.«
    »Aber es war nett, neulich beim Essen mit dir zu plaudern.«
    »Kannst du mir irgendwas von Stefan Zweig besonders empfehlen?«
    »Es gibt so viele dicke Menschen heutzutage. Fettleibig. Das hat sich seit unserer Jugendzeit ziemlich verändert, nicht wahr? Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendwer in Bristol fettleibig gewesen wäre.«
    »Warum hat dieser Stumpfsinnige dich Mary genannt?«
    Wenigstens war ich angeschnallt. Diesmal bestand Veronicas Parktechnik darin, mit etwa zwanzig Meilen die Stunde mit beiden linken Rädern auf den Bordstein zu fahren und dann die Bremse durchzutreten.
    »Raus«, sagte sie, stur geradeaus blickend.
    Ich nickte, löste meinen

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