Vom Ende einer Geschichte
Sicherheitsgurt und stieglangsam aus. Ich hielt die Tür länger als nötig auf, nur um Veronica noch ein letztes Mal zu ärgern, und sagte:
»Wenn du so weitermachst, brauchst du bald neue Reifen.«
Die Tür wurde mir aus der Hand gerissen, als Veronica losfuhr.
Ich sass in der Bahn nach Hause und dachte eigentlich gar nichts, ich fühlte nur. Und dachte nicht mal darüber nach, was ich fühlte. Erst am Abend begann ich mich damit zu beschäftigen, was da geschehen war.
Dass ich mich idiotisch und gedemütigt fühlte, lag vor allem an – wie hatte ich das erst wenige Tage zuvor für mich genannt? – der »ewigen Hoffnung in des Menschen Herz«. Und noch davor hatte ich von dem Reiz gesprochen, Verachtung zu überwinden. Ich glaube, normalerweise leide ich nicht an Eitelkeit, aber das hatte mir eindeutig mehr zugesetzt, als mir bewusst gewesen war. Was als feste Absicht begonnen hatte, das mir vermachte Eigentum zu bekommen, war zu etwas viel Größerem mutiert, zu etwas, was mein gesamtes Leben, Zeit und Erinnerung betraf. Und das Begehren. Ich dachte – auf irgendeiner Ebene meines Inneren dachte ich das tatsächlich –, ich könnte an den Anfang zurückkehren und alles verändern. Ich könnte das Blut dazu bringen, rückwärts zu fließen. Ich war so eitel, mir einzubilden – auch wenn ich es nur so verhalten formulierte –, ich könnte Veronica dazu bringen, mich wieder gernzuhaben, und dass es wichtig wäre, das zu schaffen. Als sie in ihrer Mail etwas vom »Schließen des Kreises« schrieb, war mir der hämische Spott darin völlig entgangen, und ich hatte es für eine Einladung, fast schon für ein Angebot gehalten.
Da ich jetzt darüber nachdachte, wie sie sich mir gegenüber verhalten hatte, konnte ich es nur konsequent nennen – nicht nur in den letzten Monaten, sondern über wer weiß wie viele Jahre hinweg. Sie hatte mich für unzulänglich befunden, hatte Adrian mir vorgezogen und diese Urteile immer für richtig gehalten. Das war, wie ich nun erkannte, in jeder Hinsicht, ob philosophisch oder sonst wie, evident. Aber ich hatte ihr, ohne meine eigenen Beweggründe zu verstehen, selbst zu diesem späten Zeitpunkt noch beweisen wollen, dass sie sich in mir getäuscht hatte. Besser gesagt, dass ihre allererste Einschätzung von mir – als wir unsere Herzen und Körper erkundeten, als ein Teil meiner Bücher und Schallplatten ihren Beifall fand, als sie mich hinreichend gernhatte, um mich ihrer Familie vorzustellen – richtig gewesen war. Ich dachte, ich könnte die Verachtung überwinden, Reue in Schuld zurückverwandeln und dann Vergebung finden. Mich hatte gewissermaßen die Vorstellung verlockt, wir könnten den Großteil unserer jeweiligen Existenzen tilgen, könnten das Magnetband, das unser Leben aufzeichnet, schneiden und neu montieren, an jene Weggabelung zurückkehren und den weniger ausgetretenen oder vielmehr überhaupt nicht betretenen Pfad einschlagen. Stattdessen hatte ich einfach meinen gesunden Menschenverstand aufgegeben. Alter Narr, sagte ich zu mir. Und die alten Narren sind die schlimmsten: Das hatte meine vor langer Zeit verstorbene Mutter immer vor sich hin gemurmelt, wenn sie in der Zeitung etwas über alte Männer las, die sich in jüngere Frauen verknallten und ihre Ehe wegwarfen, alles nur wegen einem albernen Lächeln, gefärbten Haaren und straffen Titten. Sie hätte das natürlich anders ausgedrückt. Und ich konnte mich nicht mal mit einemKlischee herausreden, als würde ich mich nur ebenso banal verhalten wie andere Männer meines Alters. Nein, ich war ein noch komischerer alter Narr, ich hatte mir für meine erbärmlichen Hoffnungen auf Zuneigung ausgerechnet den Menschen ausgesucht, der auf der ganzen Welt am wenigsten dafür empfänglich war.
Die nächste Woche war mit die einsamste meines Lebens. Mir schien, ich könne mich auf nichts mehr freuen. Ich war allein mit zwei Stimmen, die sich klar und deutlich in meinem Kopf vernehmen ließen: Die von Margaret sagte: »Tony, du bist jetzt auf dich selbst gestellt«, und die von Veronica sagte: »Du kapierst wohl gar nichts, was … Hast du ja nie und wirst du auch nie.« Und da ich wusste, dass Margaret nicht triumphieren würde, wenn ich anriefe – da ich wusste, sie würde sich mit Freuden wieder zu einem kleinen Mittagessen verabreden und wir könnten exakt so weitermachen wie bisher –, fühlte ich mich nur noch einsamer. Wer hat noch mal gesagt, je länger wir leben, desto weniger verstehen
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