Vom Ende einer Geschichte
zur Bestätigung ihrer größeren Weisheit immer genügen. Aber das könnte diesmal ausbleiben. Ja, womöglich würde ich Margaret eine Zeit lang nicht sehen. In einer Ecke meines Herzens hatte ich ihr gegenüber ein fernes, leise schlechtes Gewissen. Zuerst verstand ich das gar nicht: Sie hatte mir doch selbst gesagt, dass ich nun auf mich selbst gestellt war. Doch dann kam mir eine Erinnerung aus längst vergangenen Zeiten, aus unseren ersten Ehejahren. Ein Arbeitskollege hatte eine Party gegeben und mich dazu eingeladen; Margaret wollte nicht mitkommen. Ich flirtete mit einem Mädchen, und sie flirtete zurück. Nun ja, es war etwas mehr als ein Flirt – aber nicht mal annähernd so was wie Infra-Sex –, doch ich machte der Sache ein Ende, sobald ich wieder nüchtern war. Dennoch blieb ein Gefühl zurück, das zu gleichen Teilen aus Erregung und Schuldbewusstsein bestand. Und jetzt hatte ich, wie mir klar wurde, wieder ein ähnliches Gefühl. Es dauerte eine Weile, bis ich das auf die Reihe bekam. Am Ende sagte ich mir: Okay, jetzt fühlst du dich also schuldig gegenüber deiner Exfrau, die sich vor zwanzig Jahren von dir scheiden ließ, und erregt voneiner alten Freundin, die du vierzig Jahre lang nicht gesehen hast. Wer sagt denn, dass das Leben keine Überraschungen mehr bereithält?
Ich wollte Veronica nicht bedrängen. Ich dachte, diesmal würde ich warten, bis sie sich bei mir meldet. Ich schaute in immer kürzeren Abständen in meine Mailbox. Natürlich erwartete ich keinen großen Erguss, hoffte aber, vielleicht, eine höfliche Nachricht zu finden, es sei schön gewesen, mich nach so langer Zeit noch einmal richtig zu sehen.
Nun ja, vielleicht war es nicht schön gewesen. Vielleicht war sie verreist. Vielleicht gab es Probleme mit ihrem Server. Von wem stammt dieser Spruch von der ewigen Hoffnung in des Menschen Herz? So wie man ab und zu Geschichten über eine, wie die Zeitungen gern schreiben, »spät erblühte Liebe« liest? Die meist von einem alten Knacker und einer alten Knackerin in einem Altersheim handeln? Die beide verwitwet sind, sich durch ihre dritten Zähne angrinsen und sich an den arthritischen Händen halten? Oft sprechen sie noch die gar nicht mehr passende Sprache der jungen Liebe. »Ich sah ihn/sie und wusste, das ist der/die Richtige für mich« – so in der Art. Einerseits bin ich da immer ganz gerührt und möchte in Jubel ausbrechen, doch andererseits bin ich skeptisch und begreife das nicht. Wozu das alles noch mal von vorn durchmachen? Ihr wisst doch, dass es heißt: dumm geboren und nichts dazugelernt? Aber jetzt regte sich in mir plötzlich Widerstand gegen … was? Mein eigenes Festhalten an Konventionen, meinen Mangel an Fantasie, meine Erwartung einer Enttäuschung? Außerdem dachte ich, ich habe schließlich noch meine eigenen Zähne.
Die Nacht, in der wir in einer Gruppe nach Minsterworth pilgerten, um die Gezeitenwelle des Severn zusehen. Veronica war an meiner Seite gewesen. Das muss mein Gehirn aus den Annalen gestrichen haben, aber jetzt war ich mir ganz sicher. Sie war mit mir dort. Wir saßen auf einer feuchten Decke an einem feuchten Ufer und hielten Händchen; sie hatte eine Thermosflasche mit heißer Schokolade mitgebracht. Tage der Unschuld. Mondschein fiel auf die anbrandende Welle. Die anderen begrüßten die Welle mit lautem Geschrei und verabschiedeten sie mit ebenso lautem Geschrei, rannten in die Nacht und streuten die Lichtstrahlen ihrer Taschenlampen in die Kreuz und die Quere. Allein geblieben, sprachen wir beide darüber, dass manchmal etwas Unmögliches geschieht, etwas, was man nicht glauben würde, wenn man es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte. Wir waren eher nachdenklich, ja melancholisch gestimmt als verzückt.
Zumindest habe ich das jetzt so in Erinnerung. Doch ob ich in einem Kreuzverhör vor Gericht eine gute Figur machen würde, wage ich zu bezweifeln. »Und Sie wollen dennoch behaupten, diese Erinnerung sei vierzig Jahre lang verdrängt gewesen?« »Ja.« »Und erst vor Kurzem wieder aufgetaucht?« »Ja.« »Haben Sie eine Erklärung dafür, warum sie wieder aufgetaucht ist?« »Eigentlich nicht.« »Dann geben Sie doch zu, Mr Webster, dass dieser angebliche Vorfall nur in Ihrer Einbildung existiert und zur Rechtfertigung einer romantischen Zuneigung herhalten soll, die Sie offenbar meiner Mandantin gegenüber hegten, eine Anmaßung, die, das sollte dieses Gericht wissen, meine Mandantin äußerst abstoßend findet.« »Ja,
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