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Vom glücklichen Leben (German Edition)

Vom glücklichen Leben (German Edition)

Titel: Vom glücklichen Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucius Annaeus Seneca
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jeder in sich selbst zurückzieht. Allein werden wir besser sein. Was bedeutet es, dass es erlaubt ist, uns zu den besten Männern zurückzuziehen und ein Vorbild auszuwählen, an dem wir unser Leben ausrichten? Dies geht nicht außer in der Muße: In ihr kann man festhalten, was einmal für gut befunden wurde, solange niemand dazwischentritt, der das noch schwache Urteil mit Hilfe der Volksmeinung wieder verdreht. In der freien Zeit kann das Leben in gleichmäßigem Lauf voranschreiten, welches wir sonst durch die unterschiedlichsten Vorhaben auseinanderreißen. 2 Denn unter den übrigen Übeln ist jenes das schlimmste, dass wir unsere Fehler selbst austauschen. So gelingt es uns nicht einmal, in einem vertrauten Übel zu verharren. Eines nach dem anderen gefällt uns und quält uns freilich dadurch, dass unsere Urteile nicht nur schändlich, sondern auch leichtfertig sind: Wir wogen dahin und ergreifen eines nach dem anderen, wir weichen ab von unseren Absichten, wiederholen, was wir schon längst hinter uns gelassen hatten, und die Wechsel finden statt zwischen unserer Begierde und der Reue. 3 Wir hängen nämlich ganz von fremden Urteilen ab, und uns erscheint das als das Beste, was viele Anhänger und Lobredner hat, nicht das, was tatsächlich lobens- und erstrebenswert ist. Und wir bewerten nicht den guten und schlechten Weg an sich, sondern die Menge der Spuren, unter denen keine von Zurückkehrenden zu finden ist. 4 Du wirst mir sagen: »Was sagst du, Seneca? Du wechselst die Seiten? Gewiss sagen eure Stoiker: ›Bis zum letzten Ende unseres Lebens werde wir tätig sein, werden wir nicht aufhören, uns für das Gemeinwohl anzustrengen, Einzelnen zu helfen, selbst den Feinden Hilfe zu gewähren mit kräftiger Hand. Wir sind die, die keinem Alter Ruhe gönnen, und – wie es jener hochgelehrte Mann ausdrückt – wir drücken die grauen Haare mit dem Helm nieder. 75
    Wir sind die, die bis zum Tod nichts an freier Zeit besitzen, sodass, wenn die Situation es erlaubt, selbst der Tod nicht ohne Geschäftigkeit ist.‹ Was redest du also, Seneca, mir mitten unter den Grundsätzen Zenons von den Vorschriften Epikurs?« 5 Dies werde ich dir gegenwärtig antworten: Willst du etwa mehr, als dass ich mich meinen Vorbildern ähnlich erweise? Was also? Ich werde nicht dorthin gehen, wohin sie mich schicken, sondern dorthin, wohin sie mich führen.
    (2) Nun werde ich dir beweisen, dass ich nicht von den Vorschriften der Stoiker abweiche: Denn nicht einmal sie selbst werden von den Ihren abtrünnig. Und dennoch bin ich vollkommen entschuldigt, auch wenn ich nicht ihren Vorschriften, sondern ihren Beispielen folge. Was ich sagen werde, werde ich in zwei Teile aufgliedern: erstens, dass sich jemand von frühester Jugend ganz der Betrachtung der Wahrheit hingeben, die richtige Lebensweise suchen und sie für sich ausüben kann. 2 Dann, dass jemand dies auch, wenn er seinen Dienst abgeleistet hat, in höherem Alter, mit bestem Recht tun und den Geist auf andere Taten richten kann nach Art der Vestalinnen, die in den zwischen ihren Aufgaben aufgeteilten Jahren lernen, die heiligen Handlungen auszuüben und dieselben, wenn sie sie gelernt haben, lehren.
    (3) Dass dies die Stoiker für gut befunden haben, will ich zeigen, nicht, weil ich mir das Gesetz gegeben hätte, nichts gegen die Aussprüche Zenons und Chrysipps 76 zuzulassen, sondern weil es die Sache erlaubt, dass ich mich ihren Lehrsätzen anschließe, weil ja jemand, wenn er immer der Meinung eines Einzigen folgt, nicht Senats-, sondern Parteimitglied ist. Wenn man doch nur schon alles besäße und die Wahrheit offen und erkennbar daläge und wir keinen unserer Entschlüsse änderten! Nun suchen wir die Wahrheit zusammen mit denen, die sie lehren. 2 Zwei philosophische Richtungen unterscheiden sich in dieser Sache am meisten, die der Epikureer und die der Stoiker, aber jede von beiden weist einen anderen Weg zur Muße. Epikur sagt: »Der Weise betreibt keine Politik, wenn nicht etwas dazwischen kommt.« Zenon sagt: »Er betreibt Politik, wenn ihn nicht etwas hindert.« 3 Der eine sucht die Muße gezielt, der andere nur bei Vorliegen eines bestimmten Grundes. Der Grund aber liegt offen vor Augen: Wenn die res publica so beschädigt ist, dass ihr nicht mehr geholfen werden kann, wenn sie von Übeln übersät ist, versucht der Weise nicht vergeblich, sie zu schützen, und er reibt sich auch nicht nutzlos für die Verlorene auf. Wenn er zu wenig an Ansehen oder Kräften hat

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